Das Kind impfen oder nicht?
Wenn Eltern um die Impfung streiten: So fällt die Entscheidung - zur Not vor Gericht

16.12.2021 | Stand 23.09.2023, 22:16 Uhr
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Ingolstadt - Es ist ein Streitthema mit zwei Fronten, die sich zunehmend verhärten.

Seit die ständige Impfkommission (Stiko) im August 2021 die Corona-Schutzimpfung für Kinder ab 12 Jahren empfohlen hat, ist die Debatte erst recht emotional aufgeladen: Impfen oder nicht impfen? Und noch schwieriger wird es jetzt: Denn nun können Kinder bereits ab fünf Jahren ihre Corona-Schutzimpfung erhalten.

Empfohlen wird die Impfung für Kinder zwischen fünf und elf Jahren von der Stiko aktuell bei verschiedenen Vorerkrankungen, sowie bei Kindern, in deren Umfeld sich Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf befinden, die selbst nicht oder nur unzureichend durch eine Impfung geschützt werden können.

Die Entscheidung liegt zunächst einmal bei den Eltern: Was aber tun, wenn einer das gemeinsame Kind unbedingt impfen lassen möchte, der andere jedoch strikt dagegen ist?

Grundsätzlich gilt: Sind Kinder jünger als 14 Jahre, ist die Einwilligung beider Eltern oder Sorgeberechtigter nötig.

Bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren muss die Ärztin oder der Arzt feststellen, ob das Kind ohne Einwilligung der Eltern geimpft werden kann. Ab 16 Jahren ist die Zustimmung der Eltern nicht mehr zwingend erforderlich, heißt es in einem Merkblatt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Problematisch wird es vor allem, wenn sich getrennte oder geschiedene Eltern von Kindern uneins sind. Das trifft nun besonders die Kinder in der Altersgruppe zwischen fünf und 14 Jahren.

Im Streitfall muss ein Familiengericht entscheiden. Auf was es dabei ankommt, hat Roland Walentin im Gespräch mit unserer Zeitung bereits im Herbst dieses Jahres erklärt. Walentin ist seit rund zehn Jahren Familienrichter am Amtsgericht Ingolstadt ist.

Stiko-Empfehlungen sind maßgeblich für ein Urteil

Er stellte zunächst klar: "Ich entscheide nie, ob das Kind geimpft werden darf oder nicht. " Der Richter weise bei solchen Verfahren ausschließlich die Entscheidung über die Covid-Schutzimpfung einem der beiden Elternteile zu.

"Meine private Einstellung als Richter spielt dabei keine Rolle", sagt Walentin. Man könne nicht pauschal beantworten, ob das Urteil in der Regel zu Gunsten des Impfbefürworters oder des Impfgegners ausfalle. Das sei eine Abwägungsfrage bei jedem Einzelfall. "Man muss den Gegner immer anhören", sagt Walentin.

Weil die Stiko inzwischen eine Impfung für alle 12- bis 17-Jährigen empfiehlt bzw. nun auch eingeschränkt für Kinder ab fünf Jahren, muss der Elternteil, der gegen eine Impfung ist, aber gewichtige Argumente vorbringen - körperliche oder psychische zum Beispiel. Diese müssen den Nutzen der Impfung aufwiegen.

Es gibt nämlich umgekehrterweise auch medizinische Gründe, die besonders für eine Impfung des Kindes sprechen, etwa Vorerkrankungen am Herzen, ein geschwächtes Immunsystem, Krebs oder Übergewicht. Die Stiko spricht sich auch ausdrücklich für eine Impfung aus, wenn Kinder Personen umgeben, die selbst nicht geimpft werden können, aber besonders gefährdet sind. Laut Walentin müsse man auch die Folgen einer "Nicht-Impfung" betrachten. Hätte das Kind - was derzeit ausdrücklich nicht so ist - aufgrund der fehlenden Impfung Einschränkungen in seinem Schulalltag, würde auch dies eine Rolle spielen. Am Ende nämlich zählt das Kindeswohl.

Dazu gehört auch die Selbstbestimmtheit des Kindes. Denn eine Impfung ist ein körperlicher Eingriff, der rechtlich eine Einwilligung von dem erfordert, dessen Körper "verletzt" wird. Laut Walentin kommt es dabei auf die "Einwilligungsfähigkeit" des Kindes an. Und auch hier gebe es keine pauschalen Antworten, erklärt der Familienrichter.

"Das Kind muss angehört werden"

Zwar gibt es Richtlinien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung darüber, wie sehr Kinder ihrem Alter entsprechend mitentscheiden können, am Ende sei das aber von Kind zu Kind ganz unterschiedlich. Klar ist aber: "Das Kind muss angehört werden", sagt Walentin.

Im Impfstreit um einen fast 16-jährigen Jungen mit Vorerkrankungen musste - auch wenn der Jugendliche grundsätzlich entscheidungsfähig war - am Ende doch das Oberlandesgericht Frankfurt ein Urteil in zweiter Instanz fällen. Der Junge nämlich wollte geimpft werden: Der Vater war dafür, die Mutter gab ihre Einwilligung nicht und ging gegen einen ersten Beschluss des Amtsgerichts vor. Das Oberlandesgericht aber folgte am Ende der Stiko-Empfehlung und dem Wunsch des Kindes.

Der Ingolstädter Familienrichter Roland Walentin hatte selbst bisher noch nicht mit einem solchen Fall zu tun, hält es aber für denkbar, dass es vermehrt zu Impfstreits kommen wird, sobald das Alter der Kinder, die geimpft werden sollen, sinkt. Ein Fall, der nun eingetreten ist.

Eine Fünfjährige habe wohl kaum die nötige Einwilligungsfähigkeit. Die Entscheidung müsse dann ausschließlich von den Eltern ausgefochten werden, so die Einschätzung des Richters.

Sicher ist schon jetzt: Einfacher wird die Debatte in Zukunft bestimmt nicht.

DK

Laura Csapó