Wenn die Waage alles bestimmt

28.01.2008 | Stand 03.12.2020, 6:11 Uhr

Ob rank und schlank oder eher mit runden Formen: Wichtig ist, sich in seinem eigenen Körper wohl zu fühlen. Mädchen und Frauen mit Essstörungen haben oft Schwierigkeiten mit ihrem Körpergefühl. Austausch und Hilfe finden sie bei der angeleiteten Selbsthilfegruppe von Petra Biefang, die am Montag, 18. Februar, beginnt. Betroffene wollen auch in Ingolstadt eine eigene Gruppe gründen, das erste Treffen ist am Montag, 11. Februar, um 20 Uhr im Bürgerhaus Diagonal. - Foto: Asbeck

Pfaffenhofen (PK) Die Waage ist für Jennifer und Anna (Namen geändert) eine ständige Begleiterin. Ihre Skala ist ausschlaggebend dafür, ob sich die jungen Frauen gut oder schlecht fühlen. Beide leiden an einer Essstörung, aber mit unterschiedlichem Krankheitsbild.

Haben sie ihr Gewicht gehalten oder sogar abgenommen, steigt ihr Stimmungsbarometer. Aber beide werden niedergeschlagen, manchmal sogar depressiv, wenn ein paar Gramm oder gar Kilos zu viel angezeigt werden.

Die 24-jährige Anna aus Ingolstadt war zwei Mal wegen ihrer Magersucht in stationärer Behandlung – weil ihre Eltern Angst um das Leben ihrer Tochter hatten. Sie aß damals kaum etwas, zählte jede Kalorie, und joggte gleichzeitig sehr intensiv. Im Rückblick erzählt sie, die Ärzte hätten ihr geholfen. Zusammen mit der Hilfe einer Therapeutin schafft sie es jetzt, ihr Gewicht zumindest zu halten. Kalorien zählen und viel Sport gehören aber immer noch zu ihrem Alltag. Damit die Waage nicht mehr so viel Macht haben soll, hat sie mit ihrer Therapeutin die Vereinbarung getroffen, sich nur noch alle 14 Tage zu wiegen. Nicht immer gelingt ihr das. Anna, die bei einer Körpergröße von 1,73 Metern die Kleidergröße 176 oder 34 trägt, ist noch nicht über den Berg.

Wer dagegen Jennifer trifft, merkt auf den ersten Blick nichts von ihrer Krankheit. Sie wirkt nicht übermäßig schlank wie Anna, aber auch nicht besonders dick. Bei 1,78 Metern trägt sie Kleidergröße 44/46. Aber die 26-Jährige leidet an unkontrollierten Essanfällen. Dann schlingt sie schon mal zwei Tafeln Schokolade in sich hinein. Im Gegensatz zur Bulimie erbricht sie nicht, sondern fühlt sich nach einer solchen Heißhungerattacke erst mal schlecht. Sie hasst dann ihren Körper, fühlt sich "fremdgesteuert". Und dann geht das Essen aus Frust weiter. Dazwischen liegen Phasen mit Diäten, Kalorien zählt sie dann auch. Aber die Fressphasen kommen wieder. Erst seit den 90er Jahren gibt es für ihr Krankheitsbild auch eine Diagnose: Binge Eating.

Mit 14 Jahren hatte Jennifer, die aus dem Raum Pfaffenhofen kommt, schon mal Kleidergröße 48 gehabt. Dann hungerte sie sich mit Hilfe eines Diätclubs 50 Kilo runter. Vorgesehene Mahlzeiten ersetzte sie durch einen Magermilchjoghurt. "Es war für mich wichtig, Wochensiegerin des Vereins zu sein". Ihre Mutter wollte sie wegen ihrer beginnenden Magersucht zum Arzt schicken. Aber dann wäre ihr "Geheimnis" aufgeflogen, ihre Selbstbestätigung durch andere: "Du hast ja so schön abgenommen".

Aber dann kam wieder eine Phase des Frustessens, und fast hätte sie die 50 Kilo wieder zugenommen, wenn sie nicht durch die Lektüre eines Buches gestoppt worden wäre. Mit 22 Jahren suchte sich Jennifer dann eine Therapeutin, jetzt hat sie außerdem noch eine Ernährungsberaterin, die ihr einen eigenen Ernährungsplan ausgearbeitet hat. Und eine Kur hat sie auch beantragt. Durch die Therapie sei sie wieder mehr "ich selbst" geworden, sagt Jennifer: "Sonst ist man so seinen Bedürfnissen ausgeliefert".

Jennifer und Anna haben außerdem bei der angeleiteten Selbsthilfegruppe für Mädchen und Frauen mit Essstörungen mitgemacht, die Gestalttherapeutin Petra Biefang regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Caritas im Mütter-Zentrum Sulzbach anbietet. Beide sind sich einig, dass ihnen der Austausch mit Frauen, die ähnliche Probleme haben, viel bringt: "Man beobachtet sich dann bewusster". Außerdem schätzen sie die "geschützte Atmosphäre": Das Gesprochene bleibt im Raum und wird nicht nach außen getragen. Gestalttherapeutin Petra Biefang bietet den Teilnehmerinnen beispielsweise Rollenspiele zur Selbstreflexion an. Wenn es gewünscht wird, sind auch künstlerische Aktionen möglich. Es geht ihr darum, die eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen und das innere Gleichgewicht wieder zu finden und zu behalten.

Anna will jetzt zusammen mit einer Freundin in Ingolstadt ebenfalls eine eigene Selbsthilfegruppe gründen (siehe Kasten): Damit die Waage nicht das letzte Wort behält.