Wenn die Turnhalle zur Manege wird

09.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:40 Uhr

"So, jetzt noch die Arme ausgestreckt und immer ein freundliches Lächeln fürs Publikum.": Franziska (12) übt gerade mit dem Zirkus- und Theaterpädagogen Ferdinand Schmid eine Hebefigur. - Foto: kck

Neuburg (DK) Schmerzverzerrte Gesichtszüge, ein kurzes Ächzen, zitternde Arme, dann geben die Hände den unerbittlichen Kräften der Schwerkraft nach. Der schwarzrote Koffer knallt wieder mit voller Wucht zurück auf den harten Boden. Ein junger Mann bei einem weiteren vergeblichen Versuch, den gewichtigen Gegenstand hoch zu wuchten.

Körperbeherrschung

Zwei Passanten, keine zwei Meter daneben, beobachten hämisch grinsend die Szene. Ansonsten machen sie keinerlei Anstalten, dem sich plagenden Burschen unter die Arme zu greifen. Was anderswo für heftige Empörung sorgen würde, kommentiert die umstehende Menschenmenge mit einem kräftigen Applaus. Wir sind im Zirkus. Genauer gesagt bei den Zirkus- und Erlebnistagen, die der Kreisjugendring schon zum vierten Mal auf die Beine stellt. Verantwortlich für eine Schar von 19 Kindern ist Ferdinand Schmid (43). Der Zirkus- und Theaterpädagoge wird ununterbrochen mit Fragen und Anliegen seiner Schützlinge bombardiert. Er kommt von der Zirkusschule Regensburg, die sich auf die Ausbildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen für Zirkusberufe spezialisiert hat. Die Schule veranstaltet regelmäßig Zirkustage in ganz Bayern.

Ort des Geschehens ist diesmal wieder die Stadtturnhalle. Auf dem Programm stehen (natürlich) Jonglieren, Tanzen, Clownerie, Theater und Akrobatik. "Diabolo" heißt eine Übung, bei der eine zylinderförmige, in der Mitte verjüngte Plastikrolle mithilfe zweier Stecken, die durch eine Schnur verbunden sind, in Rotation versetzt, hoch in die Luft geworfen und wieder aufgefangen wird. Auch verschiedene andere Geschicklichkeitsübungen wie "Devil Sticks" verlangen ein gehöriges Maß an Körperbeherrschung von den Kleinen. Klar, dass die Übungen beim ersten Mal nicht ganz so locker flockig von der Hand gehen, wie das bei den Profis aussieht. Ist ja auch noch kein Meister vom Himmel gefallen.

Artistik auf einem Rad

Renner bei den Kindern sind aber die Ein- und Hochräder. Eine kleine Gruppe Mädchen – überhaupt ist das weibliche Geschlecht merklich stärker vertreten als das männliche – geht schon äußerst behände mit diesen Geräten um. Das liegt daran, dass sie alle, inspiriert von den Zirkustagen vergangener Jahre, selbst begeisterte Einradfahrerinnen geworden sind. Eine der schwierigsten Nummern im Repertoire sind aber die Sketche. Immer wieder gibt Schmid Regieanweisungen und Tipps an die Kinder. Schauspiel will gelernt sein. Aber keine Bange: Bis ein "richtiger" Clown eine Nummer von 45 Minuten Länge richtig kann, vergingen bei einer täglichen Übungszeit von drei Stunden ungefähr sechs Monate, beschwichtigt Schmid.

Das Ganze soll aber nicht nur sinnfreier Klamauk sein. Auch die pädagogische Seite kommt nicht zu kurz. Die Kinder sollen richtige Körperhaltungen und Bewegungsabläufe erlernen, wie sie im täglichen Leben wichtig sind. Dazu gehört beispielsweise das richtige Heben von schweren Gegenständen, mit geradem Rücken aus den Knien heraus. Die meisten Bandscheibenvorfälle wären das Ergebnis einer falschen Hebetechnik, schärft ihnen Schmid ein.

Es versteht sich von selbst, dass auch gesunde Ernährung nicht vernachlässigt wird. In der Pause wird die mitgebrachte Brotzeit einer "Pausenbrotkontrolle" unterzogen. Der Zirkuspädagoge fahndet dabei gezielt nach ungesunden Bestandteilen in den Mahlzeiten. Nachher gibt es natürlich auch Tipps, wie man es besser machen kann, um von seiner Gesundheit noch länger was zu haben.

Die Zirkustage schließen mit einer Aufführung des Erlernten ab. Pro Kind sind es dabei vier bis fünf Kunststückchen. Für die wenigen Stunden, die zur Verfügung stehen, ist das eine ganze Menge. Was nicht bedeuten soll, dass der Spaßfaktor dadurch beeinträchtigt wird, sonst wären die Kursteilnehmer nicht so engagiert bei der Sache. Das Bild von der "Generation Internet", die im Verruf steht, ständig nur vor dem Computer zu hocken, bedarf wohl doch der Korrektur.