Ingolstadt
Weniger schrill, aber weiter unbequem

Georg Ringsgwandl wird heute 70 - Sein neues Album erscheint im Januar

14.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:58 Uhr
Auch mit 70 lässt es Georg Ringsgwandl weiter krachen. −Foto: Ziegler

Ingolstadt (DK/dpa) Er klingt nicht wie ein älterer Herr. Im Gegenteil. Georg Ringsgwandl sprüht vor Wortwitz, Lebensfreude und Energie. Der Liedermacher, Kabarettist und Arzt bezweifelt die Richtigkeit seiner Geburtsurkunde, wonach er heute seinen 70. Geburtstag begeht. "Ich kann das nicht so recht glauben", sagt er. "Da muss sich wohl jemand im Standesamt verrechnet haben." Angst mache ihm die Zahl indes nicht. Er werde den Tag mit großer Gelassenheit angehen, sagt das bayerische Multitalent.

Ringsgwandl ist in Bad Reichenhall geboren und stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Vater war ein kriegsversehrter Postbote, die Mutter Hausfrau. Mit 18 Jahren erkrankte er an Lungentuberkulose. Er brachte sich während des achtmonatigen Sanatoriumaufenthalts das Gitarrespielen bei und sprang dem Tod doch noch von der Schippe. Das hat ihn geprägt und seinen ganz eigenen, schwarzen Humor geformt. Das Medizinstudium in Würzburg und Kiel schloss er 1975 mit Promotion ab, dann zog er nach München um.

Dort war es der bayerische Bluesmusiker Willy Michl ("Isarflimmern"), der ihn hin und wieder bei seinen Konzerten auftreten und ein paar Songs spielen ließ. Mit schrillen Klamotten, bissigem Spott und schrägem Humor machte sich Ringsgwandl zunächst in Bayern langsam einen Namen. Auftritte vor zwei Handvoll Besuchern waren jedoch keine Seltenheit.

Die Kabarettistin und Schauspielerin Veronika von Quast kennt den Künstler seit 1970. Sie war es, die ihn als Erste exzentrisch eingekleidet hat. "Manchmal ist er ein gscherter Hund, dass es nicht mehr feierlich ist", sagt sie in der neuen Doku "Vogelwild" des Bayerischen Fernsehens. "Er kann aber auch wahnsinnig charmant sein." Christoph "Stofferl" Well von den Biermösl Blosn erinnert sich an einen gemeinsamen frühen Auftritt. Der Saal wäre zunächst voll gewesen. Ringsgwandl hätte es dann geschaffft, nach den Biermösl Blosn und Gerhard Polt den Raum "leerzuspielen".

1986 erschien sein erstes Album "Das Letzte", und von da an ging's bergauf. Ein Jahr später wurde Ringsgwandl mit dem Salzburger Stier und dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Neben Kabarett- und Musikprogrammen schrieb er auch Theaterstücke, etwa "Die Tankstelle der Verdammten" - eine "Rockoperette". Sieben Jahre fuhr er zweigleisig: tagsüber Oberarzt der Kardiologie an der Klinik in Garmisch-Partenkirchen, abends der schrille, grell geschminkte und vogelwild verkleidete Künstler auf der Bühne. Ein Wahnsinnspensum, er war kurz vorm Burnout. Eines Tages wurde er mit einem Patienten konfrontiert, der an Krebs erkrankt war und nur noch wenige Monate zu leben hatte. Ringsgwandl ging in sich und dachte nach, wie er an dessen Stelle reagieren würde - und handelte. 1993 gab er den Arztberuf auf und konzentrierte sich fortan ganz auf die Musik.

Noch im selben Jahr veröffentlichte er sein großartiges Album "Staffabruck", benannt nach seiner einstigen Heimat, der Staufenbrücke in Bad Reichenhall. "Es gehört zu den Wundern dieser CD, dass sich selbst die banalsten Geschichten in Elegien verwandeln", lobte die "Zeit". Elf Lieder, geschrieben zwischen 1974 und 1986, über seine düstere Vergangenheit, tief verschneite Winter, seine Oma und den Räuber Kneißl, aufgenommen nur mit einer Akustikgitarre, im Stil von Bruce Springsteens "Nebraska". Erstmals tourte er nicht mit Begleitband, sondern ganz allein. Das schrille Outfit streifte er ab.

Walter Haber kennt den Künstler seit dessen Anfängen. Der Konzertveranstalter und Hauptverantwortliche der Ingolstädter Kabaretttage schätzt an Ringsgwandl, dass er "nie viel Aufhebens um seine Person gemacht hat". Im Vordergrund stehe bei ihm stets das Bühnengeschehen, man könne mit ihm "philosophieren wie mit dem besten Freund". Er sei ein kreativer Geist, der immer Überraschungen in petto habe. "Einer, der die hohe musikalische Kompetenz der jungen Musiker heutzutage wertschätzen gelernt hat, nachdem er lange Zeit auf ältere Semester wie etwa den großartigen Gitarristen Nick Woodland gesetzt hat."

Nach seinem Geburtstag genehmigt sich der umtriebige Künstler eine Auszeit. Die sei bitter nötig. "Ich habe die letzten Jahre ja mehr oder weniger durchgearbeitet", sagt er. Sein jüngster Kraftakt trägt den Titel "Andacht & Radau". Nachdem er sich zuletzt leise und nachdenklich gegeben hatte, zeigt das neue Album Ringsgwandl rockiger und aggressiver denn je. "Ich dachte mir, wir geben nochmal so richtig Gas. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne irgendwelche Mäßigungen oder Selbstbeschränkungen", verrät er über die im Rheingau in nur sechs Tagen größtenteils live eingespielte Platte. Wie bei ihm üblich, nimmt der in Murnau lebende Musiker wieder viele aktuelle Themen aufs Korn: In "Das Digitale Proletariat" ätzt er zu Hardrock-Klängen über die Auswüchse der Handy- und Laptop-Generation, bei "Reiß de Hüttn weg!" blickt er schimpfend hinter schöne Fassaden und "I wui net Skifahrn, aber i muaß" geht als bärbeißiger Gegenentwurf zu Wolfgang Ambros' Ski-Hymne "Schifoan" durch. "Er lässt es auch mit 70 krachen", sagt Walter Haber, "und bleibt eines der großen Unikate der deutschen Bühnenlandschaft."
 

Uwe Ziegler, Gunther Matejka