Wenig zu befürchten

Von Christian Tamm

24.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:36 Uhr

Die EU-Kommission klagt erneut gegen Warschau wegen der höchst umstrittenen Justizreform der Regierungspartei PiS.

Bereits im März wandte sich Brüssel an die europäischen Gerichte, nachdem unzähligen Appelle ungehört verhallt waren. Die Sorge um die Unabhängigkeit der Justiz in Polen ist seitdem gewachsen. Die PiS hat inzwischen das Renteneintrittsalter für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre gesenkt. Viele unliebsame Juristen können nun einfach in den Ruhestand geschickt werden. Das kann die EU nicht hinnehmen.

Der Streit zwischen Brüssel und der PiS ist traurig, denn er verdeckt erneut, dass die EU eine Erfolgsgeschichte ist. Nie herrschte länger Frieden in Europa. Nie haben mehr Völker auf dem Kontinent in relativem Wohlstand gelebt und freien Handel betreiben können. Und nie haben sich die Menschen grenzenloser bewegen dürfen. All das fußt auf Werten wie Respekt, Kooperation und nicht zuletzt Rechtsstaatlichkeit.

Klar, dass dieser Klub der Priviligierten Anziehungskraft hat - und die EU war stets aufnahmebereit. Heute muss man bilanzieren, dass sich mit steigender Zahl der Mitglieder auch Probleme ergaben. Politisch, kulturell und ökonomisch war die Osterweiterung 2004 dennoch unbestritten richtig. Polen, Ungarn und andere gehören in die europäische Familie. Doch mit den damit erlangten Vorteilen gehen auch Verpflichtungen einher. Eine ist die Pflege des Wertekanons. Mit dem Versuch, die Justiz zum eigenen Vorteil umzubauen, wird die polnische Regierung diesem Anspruch aber nicht gerecht.

Dass die EU-Kommission immer konsequenter die juristische Keule rausholt, ist richtig - auch als Signal an andere Regierungen. Und doch hat die PiS wenig zu befürchten. Das bereits eingeleitete Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages könnte nur dann zum Verlust des Stimmrechts für Polen führen, wenn 22 Mitglieder zustimmen. Unwahrscheinlich. Und das neue Verfahren wird höchstens in einer - wenn auch empfindlichen - Geldbuße münden. Der umstrittenen Regierung des wirtschaftlich brummenden Polen wird das herzlich egal sein.