Kühbach
Weltmeisterinnen aus dem Jugendtreff

Die 51-jährige Geschichte der Stockschützen des TSV Kühbach ist voller Titelgewinne und internationaler Erfolge

26.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:08 Uhr
Eintrag 2004 ins Goldene Buch der Marktgemeinde: (v. l.) Verena Elsenberger, Jessica Gamböck und Veronika Filgertshofer. Auch der stolze Trainer Karl Baumgartner (hinten, r.) war dabei. −Foto: Archiv

Kühbach - Anton Stadlmair kann nicht mehr hinsehen.

 

Der Mann mit dem üppigen grauen Oberlippenbart ist dermaßen angespannt, dass seine Augen wie ferngesteuert in Richtung seiner Füße wandern. Immer dann, wenn seine Tochter Jessica Gamböck oder Verena Elsenberger zum Schuss ansetzen, muss er sich regelrecht zwingen, den Blick auf die Eisfläche zu richten. Denn er weiß: Dieses enge Finale um die Mannschaftsweltmeisterschaft im Eisstockschießen zwischen Deutschland und Gastgeber Österreich kann jeder Fehlschuss entscheiden, jeder Wackler die Goldmedaille kosten. Und dann ist da noch diese fast unwirkliche Atmosphäre in der Halle im Grazer Stadtteil Liebenau.
"Die jeweiligen Schützinnen standen ganz alleine auf der Eisbahn", erinnert sich Stadlmair, Stockschützen-Chef des TSV Kühbach, noch heute exakt an die Ereignisse in der Hauptstadt der Steiermark. Vor und nach dem Schuss machten die 4500 Zuschauer einen ohrenbetäubenden Lärm. "Wie bei einem Eishockeyspiel", vergleicht er. "Doch während der Schübe war es gespenstisch still in der Halle", beschreibt Stadlmair.
Die deutsche Mannschaft um die beiden Kühbacherinnen Verena Elsenberger und Jessica Gamböck lässt sich an diesem 13. März 2004 von all dem nicht aus der Ruhe bringen. Auch nicht von den Kabinettstückchen, zu denen sich die Österreicherinnen vom Publikum animieren lassen. Aus dem knappen 11:8 zur Pause wird ein 26:15-Endstand - und Stadlmair kann längst wieder hinsehen, als die fünf deutschen Spielerinnen ihre Medaillen erhalten sowie die Nationalhymne durch die Halle dröhnt. Auch wenn seine Sicht getrübt ist. "Es kullerten die Tränen", gibt er zu.
Dieser Tag hat sich eingebrannt in sein Gedächtnis. Diesen Augenblick nennt er den schönsten in seinen nunmehr 35 Jahren als Spartenchef. Und das will etwas heißen - "denn ich will keinen einzigen Moment dieser Zeit missen", sagt er. Die Gründung der Kühbacher Stockabteilung jährte sich 2019 zum 50. Mal, vor allem nach der Jahrtausendwende sammelten die Moarschaften und Sportler des TSV unzählige Medaillen sowie Pokale. Stadlmair hat zum Jubiläum eine Chronik erstellt: fünf Bände voll mit Zeitungsartikeln und Fotos, zahllose Seiten voller Erfolge und Edelmetalle. Es sei "nur ein Auszug" aus der Historie, darauf weist er im Prolog ausdrücklich hin - Stadlmair hat schließlich Ergebnislisten von rund fünftausend Wettbewerben mit Kühbacher Beteiligung vorrätig.
Aber es ist eben jener Märznachmittag 2004 in Graz, der für den 64-Jährigen aus der beeindruckenden Sammlung heraussticht. Denn er krönte all das, was sich seit 1985 bei den TSV Stockschützen entwickelt hat. Ende der Siebziger Jahre "hatte man noch Sorgen, dass es nicht mehr weitergeht", blickt Stadlmair zurück und formuliert es drastisch: "Eisstocksport in Kühbach war tot. " Die Jungen spielten für den EC Haslangkreit, die Alten für den TSV Kühbach, beschreibt er.
Dann aber kommt das Jahr 1985: Die erste Mannschaft tritt damals in der Bezirksliga C an, der niedrigsten Spielklasse. Stadlmairs Vorgänger und späterer Vize Hans Brandstetter schickt im Alleingang überraschend die Nachwuchsmannschaft statt der ersten Moarschaft zum Wettkampfwochenende. Die Truppe um Stadlmair, Franz Krepold und Karl Baumgartner schafft den Aufstieg, marschiert bis 1990 durch in die Landesliga. Das Trio soll auch abseits der Bahnen zu prägenden Figuren der Kühbacher Eisstockgeschichte werden.
Als Brandstetter im selben Jahr sein Amt als Spartenchef aus gesundheitlichen Gründen abgeben muss, übernimmt Stadlmair. Nachdem mit dem Sprung in die Landesliga das erste Ziel erreicht ist, wird es Zeit für den nächsten Schritt: "Uns war klar: Wir brauchen eine Jugend", erzählt Stadlmair. Es sind größtenteils die Kinder der Spieler, alle zwischen elf und 13 Jahren alt, die "eine kometenhafte Entwicklung hinlegen", wie Stadlmair gleichsam fasziniert und stolz feststellt. Baumgartner, Krepold und Paul Eberl übernehmen das Training der Nachwuchsschützen. Kaum ein Tag vergeht, den die Jugendlichen nicht an den Asphaltbahnen verbringen. "Und sie haben trainiert, trainiert und trainiert", sagt Stadlmair. Wenn sie nicht üben, hocken sie in der Hütte an der Anlage, die gleichzeitig ihr Jugendtreff ist. Eine verschworene Gemeinschaft entsteht - getragen von Freundschaft, Erfolgen und dem Ehrgeiz, besser zu werden. "Die haben sich gegenseitig hochgestachelt", erinnert sich der Spartenchef, "jeder Pokal und jede Medaille haben sie weiter angespornt".
Erstmals macht die Jugendarbeit des TSV 1996 international von sich reden: Der damals 15-jährige Manfred Wall schrammt bei der Europameisterschaft der Unter-16-Jährigen vor 10000 Zusehern in Linz nur knapp an Bronze vorbei und wird Sechster. Auch Verena Elsenberger und Jessica Gamböck, Veronika Filgertshofer, Alexander Ivenz, Michael Fuidl sowie Marco Zahn werden für Juniorennationalteams nominiert, sammeln zahlreiche Medaillen. Verena Elsenberger etwa wird 2002 im schweizerischen Frauenfeld Weltmeisterin im Mannschaftsspiel, ein Jahr später holen sie und Jessica Gamböck Silber bei der EM in Garmisch-Partenkirchen, Veronika Filgertshofer kehrt mit Mannschaftsgold im Zielschießen zurück. Es sind mittlerweile die internationalen Medaillen Nummer 17,18 sowie 19 für Kühbacher Stockschützen. Und all das findet am 13. März 2004 in Graz seinen Höhepunkt, als Filgertshofer im Team-Zielschießen Silber holt, als Gamböck sowie Elsenberger im Mannschaftsspiel den Hexenkessel von Graz überstehen. "Des vergiss ich nie", versichert Stadlmair.
Auf diesem Erlebnis, auf all der Arbeit basiert der Erfolg des TSV. Hinzu kommt die Stockschützenhalle an der B 300, die der TSV 2006 eröffnet. Sie ist die modernste ihrer Art - weltweit. Gefüllt wird sie nicht nur mit unzähligen Medaillen, sondern auch - und das ist dem Abteilungsleiter viel wichtiger als Edelmetall - mit Leben: "Der Zusammenhalt bei uns ist weiter groß, die Protagonisten von damals sind noch immer mit Feuereifer dabei. "
Hinzu kommt das beinahe unverschämt erfolgreiche Nachwuchstalent Regina Gilg aus Ohlstadt bei Garmisch-Partenkirchen. Sie hat sich ob des ausgezeichneten Rufs, den sich der TSV in der Szene erarbeitet hat, für das 130 Kilometer von ihrem Wohnort entfernte Kühbach entschieden. "Sie ist längst eine von uns", sagt der Spartenchef.
Er möchte eine Anekdote erzählen, fügt er an. Ein Kühbacher sei voriges Jahr in Tirol beim Skifahren gewesen, wo er mit einem Liftbetreiber ins Gespräch kam. "Wo kommst denn her? ", habe der Einheimische gefragt. "Aus einem Dorf in Bayern. Aber das kennst du eh nicht. Es heißt Kühbach", gab es als Antwort. "Dann sind dem Mann die Augen aufgegangen", führt Stadlmair die Geschichte fort. "Freilich kenne ich Kühbach: Das sind die mit der großen Halle und den super Eisstockschützen. "

SZ

 

 

 

 

 

David Libossek