Weite und Wolken: Zeichnungen von Karl Bohrmann

01.01.2007 | Stand 03.12.2020, 7:11 Uhr

München (DK) Sein großes Thema ist die Weite, die Leere – man könnte auch sagen: das Licht. Und all dies entfaltet er auf kleinstem Raum, auf Blättern, die kaum größer sind als ein Briefbogen, manchmal sogar kleiner. Aber weil er die Bäume und die Stühle, die Akte und die Kannen so bewusst platziert, sie ins Zentrum eines Raumes stellt, weitet sich die Leere um sie herum, dehnt sich aus und umfängt zugleich das Dargestellte.

Entstanden sind diese Zeichnungen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, und Karl Bohrmann schlägt darin eine Brücke von seiner Gegenwart in die Romantik des 19. Jahrhunderts, wie in der Ausstellung der Grafischen Sammlung in der Pinakothek der Moderne zu erkennen ist. Der Künstler, der 1998 starb, arbeitete in seinen letzten Jahren an einem kleinen Tisch im Untergeschoss seiner Kölner Wohnung. Die Welt, die er zeichnete, hatte er vor seinem inneren Auge, er konnte sie wieder und wieder abrufen, variieren, sie vervielfältigen. In Stapeln auf dem Nebentisch lagen die Blätter in Stapeln, nach Themen geordnet, gearbeitet hat er an einem kleinen, quadratischen Holztisch. Diese Enge der Arbeitswelt erstaunt angesichts der Blätter, die in der Pinakothek ausgestellt sind. Ein Block von 15 Bäumen füllt eine Wand. Auf rot eingefärbtem Papier erscheinen sie: mal als Gruppe eng zusammengerückt, mal als windgepeitschte Individuen, die sich an den Boden zu schmiegen scheinen, dann stolz und aufrecht als einsamer Einzelgänger vor dem Horizont, dann aus einer Senke vorsichtig herauswachsend.

Dieser Variantenreichtum ist ebenso groß bei anderen Themen. Die Himmelserscheinungen sind auf 24 Blättern ausgebreitet, und die Wolken und Lichterscheinungen stürmen über die Fläche, weiten sich aus und drohen auf die tiefe Erde zu fallen, wo die schmale Gestalt eines Menschen vor diesen mächtigen Erscheinungen steht wie ein einsamer Mann vor der Natur, die Caspar David Friedrich gemalt hat.

Aber umgekehrt kann auch eine einzelne menschliche Figur ein ganzes Blatt füllen, es fast sprengen mit seiner Präsenz und seinem grellen Rot: die Akte von Frauen stehen im Koordinatenzentrum eines Zimmers, und die abstrahierten Formen fügen sich zusammen zu schwarzen Haaren und rotem Tuch, zu hell leuchtendem Leib und dem Rund der Brust. Eine andere Serie stellt den Akt in eine blaue Tür, und die Bilder folgen einander wie Film-Stills, der Betrachter glaubt, die einzelnen Sequenzen eines Kurzfilms zu sehen.

Das verwundert nicht, denn Bohrmann war nicht nur Zeichner und Maler, sondern auch Fotograf und Komponist. 1928 in Mannheim geboren, studierte er nach dem Krieg in Saarbrücken und Stuttgart und lebte von 1959 bis 1972 in München. Er wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet und veröffentlichte Aphorismen zur Kunst.

Pinakothek der Moderne, bis 2 5. Februar, tgl. außer Mo von 10 bis 18, Do bis 20 Uhr.