stadtgeflüster
Wehklagen für Fortgeschrittene

25.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:41 Uhr

Der Deutsche regt sich gerne auf.

Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen! Wo kommen wir denn sonst hin? Da könnte ja jeder kommen! Wir lassen uns schließlich nicht für dumm verkaufen. Und dann dauernd diese gesalzenen Preise. Die haben doch alle ein Rad ab! Wer glauben die eigentlich, wer sie sind, diese Halsabschneider?

Reizbare deutsche Jugendliche würden auf dieser Woge der Empörung zur Bekräftigung noch ein "Alter! " anhängen.

Das Deutsche ist reich an Zurechtweisungen, Kraftausdrücken, Schimpfwörtern und ausdrucksfreudigen Wortfamilien rund um bildstarke Beleidigungen, oft aus dem Bereich "Gehirn / kognitive Inkompetenz": "Der hat ja einen Sprung in der Schüssel, dieser Hohlkopf mit seinem Dachschaden! Gehirnamputierte Schwachköpfe! "

Gerät ein Deutscher derlei in Rage, nennt man das eine Wutrede oder - wenn der Beschwerdeführer heillos lodert - auch eine Brandrede. Schüler Humanistischer Gymnasien sprechen gern von einer Philippika; diese Variante der Brandrede geht auf den antiken Rhetor Demos-tenes zurück, der zum Kampf gegen König Philipp II. von Makedonien aufrief. Ist jemand völlig enthemmt am Zetern, bezeichnen das ältere Deutsche zumeist als Trapattoni-Rede.

Wer mit seinen vom Internet beseelten Kindern fachbegrifflich mithalten will, muss englisches Spezialvokabular lernen. Eine Wutrede ist etwa ein rant (von to rant: schimpfen). Ein aggressives gegenseitiges Gezänk nennt man ein beef; das kommt aus dem HipHop-und Rap-Jargon, das auch schon die netten Kreationen dissen (jemanden beleidigen, fertig machen) oder bashen (über jemanden lästern, auch bashing) hervorgebracht hat. Überträgt man das Netz-neudeutsch auf ein historisches Szenario, könnte man dieses Beispiel formulieren: "Als Martin Luther die Missstände in der Kirche endgültig satt hatte, ließ er dem Papst mit seinen 95 Thesen einen krassen rant hin. Der beef mit den Katholiken wurde richtig heftig, als 1521 Kaiser Karl V. Luther auf den Wormser Reichstag beorderte, um ihn dort ordentlich zu dissen. Doch der Reformator bashte zurück. "

Beim Stichwort Reformator kommen wir auch schon zu OB Christian Scharpf. Der Sozialdemokrat hat ein eigenes Genre der Brandrede entwickelt. Den "Im Ton moderaten, aber dennoch offensiven, argumentativ tiefgreifenden und immer sehr langen Besinnungsaufsatz auf Facebook". Alle paar Tage setzt der OB auf seiner Seite so ein Opus ab, um Irrungen und Wirrungen konkurrierender Politiker darzulegen und sich daran abzuarbeiten. Das jüngste Beispiel sind seine Erläuterungen zur einstigen Haushaltspolitik der CSU. Scharpf schreibt: "Nur auf die Schuldenfreiheit und die Rücklagen des Hoheitshaushalts als große Errungenschaft der CSU-Regierungszeit zu verweisen, ist Augenwischerei! "

Kinder, was für ein rant! Das gibt bestimmt wieder einen ordentlichen beef. Die CSU feilt schon an ihrer Philippika.

sic