Meckenhausen
Wegen eines Sonntagsanzugs nach Auschwitz

Heimatforscher Claus Wittek schildert den Fall Felix Schrafel – Meckenhausener stirbt 1944 im Konzentrationslager

23.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:45 Uhr

 

Meckenhausen (HK) Dies ist die Geschichte von Felix Schrafel aus Meckenhausen, wie sie der Eckersmühlener Heimatforscher Claus Wittek nach einem Gespräch mit dessen Neffen Wendelin Meyer recherchiert hat. Schrafel wurde 1944 im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht.

Felix Schrafel war eines von vier Kindern einer in Meckenhausen ansässigen Familie. Er wurde am 21. Februar geboren. Von Kindheit an hatte er ein Fußleiden, das ihn in seiner Beweglichkeit sehr einschränkte, sodass er auf dem elterlichen Hof wohl nur sehr bedingt mithelfen konnte. Etwa im Jahre 1926 entschloss sich Felix Schrafel, wohl als Laienbruder, im Karmelitenkloster Regensburg-Kumpfmühl eine Stelle als Pfleger anzunehmen. Dies sollte eine verhängnisvolle Entscheidung sein, wie aus einem späteren Brief an seine Verwandten in Jahrsdorf – verfasst am 31. Mai des Jahres 1942 im Strafgefängnis Nürnberg – hervorgeht.

Denn im Karmelitenkloster war Schrafel unter anderem für die Zuteilung von Kleiderspenden und die Verteilung der Nachlässe von verstorbenen Pfleglingen an die Pflegebedürftigen der Klosteranstalt zuständig. Dabei handelte er sich Ärger ein, weil sich einige Pflegebedürftige von Schrafel benachteiligt fühlten. Einer von ihnen beschwerte sich, weil Schrafel ihm einen gebrauchten Sonntagsanzug statt des erwarteten neuen Exemplars zugeteilt hatte. Doch dabei blieb es nicht: Der Mann und andere Pfleglinge zeigten Schrafel wegen angeblicher „Sittlichkeitsvergehen“ an, dieser wurde daraufhin im Nürnberger Strafgefängnis inhaftiert.

Aus den beiden erhaltenen Briefen Schrafels, datiert vom 31. Mai und dem 12. Juni 1942, geht hervor, dass der Häftling beabsichtigte, über die Oberstaatsanwaltschaft Regensburg ein ordentliches Gerichtsverfahren anzustrengen, das seine Unschuld beweisen sollte. Zugleich wollte er die Anzeigeerstatter selbst wegen falscher Anschuldigungen juristisch belangen.

Aus den Briefen ist zudem ersichtlich, dass Felix Schrafel nur mit einer kurzen Haftzeit rechnete. Er war offenbar davon überzeugt, dass die Sache schnell zu seinen Gunsten entschieden sein würde. „Besuchen braucht ihr mich nicht“, schrieb er im Mai nach Hause. Im Juni schrieb er fast ausschließlich von seinen Vorhaben nach der bald erwarteten Haftentlassung: Er wollte vorübergehend den elterlichen Hof in Meckenhausen übernehmen, nachdem seine Verwandten zwischenzeitlich einen Hof in Jahrsdorf besaßen. Zudem fasste er eine Heirat ins Auge.

Es kam jedoch ganz anders. Felix Schrafel blieb weiterhin in Haft, am 12. Mai 1943 überstellte man ihn ins Konzentrationslager nach Dachau. Dort blieb er in Haft, bis man ihn erst am 11. Januar 1944 nach Lublin ins KZ Majdanek und von dort nach Auschwitz brachte. In diesem Konzentrationslager, das zum Symbol für den Holocaust schlechthin und das schreckliche Wüten der Deutschen in den besetzten Ostgebieten werden sollte, wurde Felix Schrafel am 13. April 1944 ermordet.

Es ist anzunehmen, dass der Meckenhausener wohl noch am Tag seiner Ankunft in Auschwitz bereits an der berüchtigten Rampe von SS-Ärzten wegen seines offensichtlichen Fußleidens sofort selektiert und direkt in die Todeskammern geschickt wurde. In den Jahren von 1940 bis 1941 führten die Nationalsozialisten die Euthanasiemorde durch, die nach dem Krieg als „Aktion T4“ bezeichnet wurden. Die Euthanasiemorde wurden unter anderem nach Protesten der katholischen Kirche durch mündliche Weisung Hitlers zwar im August 1941 offiziell eingestellt. Doch galt dies nur für die zentrale Durchführung der Tötungen. Diese wurden nach Beginn des Russlandfeldzugs in den Konzentrationslagern der besetzten östlichen Gebiete dezentral weiterhin praktiziert. Die Tötung der kranken und nicht mehr arbeitsverwendungsfähigen KZ-Insassen erfolgte im Rahmen der „Aktion 14f13“, die auch als „Invaliden- oder Häftlingseuthanasie“ bezeichnet wird.

Da Felix Schrafel wegen eines angeblichen Sittlichkeitsvergehens angezeigt und inhaftiert wurde, fiel er wohl unter den NS-Terminus des „Gesindels“. Wegen seines Fußleidens fiel er mit großer Wahrscheinlichkeit auch in die NS-Kategorie des „unbrauchbaren Menschenmaterials“, was für ihn letztlich das Todesurteil bedeutete.

Die Familie in Jahrsdorf wurde von der KZ-Verwaltung angeschrieben, ob sie – gegen Bezahlung – die Urne Felix Schrafels zugeschickt haben wolle. Die Familie lehnte ab, weil sie sich nicht sicher sein konnte, dass es sich tatsächlich um die sterblichen Überreste ihres Verwandten handelte. Seine Schwestern setzten eine Traueranzeige in die örtliche Tageszeitung. In dieser heißt es, unter Benennung des Sterbeorts: „Ach, Du hast jetzt überwunden, manche schwere harte Stunden, manchen Tag und manche Nacht, hast Du im Schmerze zugebracht. Standhaft hast Du sie ertragen, Deine Schmerzen, Deine Plagen, bis der Tod dein Auge bricht, doch vergessen wir Dich nicht.“

Für Claus Wittek ist der Inhalt dieser Todesanzeige ein Indiz dafür, „dass das Geschehen in den Konzentrationslagern selbst der ländlichen Bevölkerung damals bekannt war, zumindest hatte man eine vage Ahnung davon“. Dies habe die historische Forschung auch längst belegt.