"Was passiert eigentlich ganz unten"

26.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:18 Uhr

 

Ansbach/Hilpoltstein (HK) Ein Gespenst geht um in Deutschland: Es nennt sich "soziale Benachteiligung". Betroffene zieht es in einen negativen Sog aus Ausgrenzung und schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wege aus dem Dilemma suchte nun eine Fachtagung in Ansbach aufzuzeigen.

Angestoßen hat die eintägige Veranstaltung der Bezirksjugendring, dessen Vorsitzender Bertram Höfer sich erfreut über eine gelungene Premiere zeigte. Denn es war in dieser Art das erste Mal in Mittelfranken, dass sich rund 80 Vertreter aus Politik, Verwaltung und Jugendarbeit im Ansbacher Bezirksrathaus trafen, um über "sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche" zu diskutieren. Auch Roths Landrat Herbert Eckstein und Kreisjugendring-Geschäftsführer Bernhard Abt aus Hilpoltstein nahmen daran teil.

Bereits die Tatsache, dass die Veranstaltung zunächst einmal verschoben hatte werden müssen, zeigte dabei Eines recht schmerzlich: Eine richtige Lobby haben sozial benachteiligte junge Menschen nicht. Eigentlich logisch: Wer sich bewusst oder gezwungenermaßen aus der Öffentlichkeit zurückzieht, dessen Interessen werden dort auch nicht wahrgenommen. "Was passiert eigentlich ganz unten", warf denn auch einer der Tagungsteilnehmer die Frage auf.

Landrat Herbert Eckstein aus Roth legte den Finger noch deutlicher in die Wunde: "Kennen Sie überhaupt die Milieus, über die Sie da reden" Viele kannten sie wohl nicht. Denn gerade für Hilfsbedürftige sei die Hemmschwelle hoch. Sie rühre dabei aus der Angst, noch stärker als ohnehin stigmatisiert zu werden, so Eckstein. Denn die betroffenen Familien "wissen, dass sie anders sind." Deswegen ermahnte Eckstein auch, die Abwärtsspirale der sozialen Benachteiligung schon früh zu stoppen.

Im Sinne des Kindes könne es auch mal nötig sein, dessen Hortbesuch im Zweifelsfall per Gerichtsbeschluss durchzusetzen. Beim Durchbrechen festgefahrener negativer Strukturen "ist das Prinzip der Freiwilligkeit teilweise ein Hemmnis", sagte der Landrat. Vordringliche Aufgabe aber sei der persönliche Kontakt zu den entsprechenden Familien, Kindern und Jugendlichen. "Vertrauen schafft man nur durch Präsenz", erklärte Eckstein.

Einen solch direkten Kontakt stellten in früheren Zeiten die sogenannten Fürsorgerinnen in den Gemeinden dar, die heutzutage eigentlich ebenso benötigt würden.

Gerade die auch von Eckstein geforderten direkten Kontakte zwischen Benachteiligten und Politikern könnten bei der Hilfe "Herz und Geldbeutel öffnen", erklärte Bernhard Abt bei der Vorstellung der Ergebnisse seines Workshops, in dem auch die Initiierung entsprechender "Praktika für Politiker" vorgeschlagen worden war. Lobenswert fand Abt die Entscheidung des Rother Landkreises, 25 000 Euro für "unbürokratische Soforthilfen" für Benachteiligte zur Verfügung zu stellen.

Man stehe aber dem Problem auch teilweise hilflos gegenüber, so Abt. So wurde etwa im Landkreis Roth eine Freizeit für Kinder von Alleinerziehenden angeboten – eine einzige Anmeldung war das Resultat.

Es müsse gelingen, sozial Benachteiligte "aus ihren Schubladen heraus und in die Gesellschaft hinein zu holen", machte die Jugendbeauftragte des Bezirks, Amely Weiß, deutlich. Nun aber sollen die Ergebnisse der Tagung erst einmal ausgewertet werden, erklärte Höfer. Der BJR-Vorsitzende erhofft sich zudem, dass eine weiterführende Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Jugendarbeit erwächst, die sich dann einem in der Tat immer dringlicheren Problem annehmen muss.