"Was geht, Eichstätt?": Machos und Gods unter Strom

12.06.2006 | Stand 03.12.2020, 7:49 Uhr

Eichstätt (-) Pünktlich um 17.30 Uhr eröffnete am Freitag die Nachwuchsband Symbolic bei strahlendem Sonnenschein das Open Air am Berg. Obwohl noch viele Besucher mit dem Aufbau der bunten Zeltstadt beschäftigt sind, befindet sich bereits eine große Schar von Fans vor der Bühne. Brutale Gitarrenriffs und Drumgewitter kennzeichnen den Sound der Metalband, was von einem Teil der Zuhörer mit heftigem Headbangen quittiert wird.

Trotz des zeitgleich laufenden WM-Eröffnungsspiels vergrößert sich die Fangemeinde bei der nächsten Combo noch. Denn es sind die groß angekündigten Killerpilze, die die Bühne betreten. Mehrere Hundert Anhänger warten schon auf sie und tanzen zu jedem der folgenden Stücke. Die Killerpilze legen sofort ordentlich los und können mit ihrem Deutschpunk auch die Zuhörer überzeugen, die keine offensichtlichen Fans der Pilze sind. Besonders Schlagzeuger Fabi verblüfft trotz seines jugendlichen Alters von 13 Jahren mit variablem und druckvollem Spiel, und die ganze Band überzeugt durch ihr professionelles Auftreten und ihren lockeren Umgang mit dem Publikum.

"Was geht, Eichstätt?": So läuten dann El*ke ihren Auftritt ein. Die drei Berliner begeistern die Menge mit ihrer Mischung aus Stonerock und Neuer Deutscher Welle. Breitbeinig kommen sie daher, man könnte sie fast für Machos halten, und doch bleibt auch Zeit für gefühlvolle Stücke wie "Schutzengel". Besser passt die raue und eindringliche Stimme von Sänger Peter jedoch zu Liedern wie "Adrenalin" oder "Wilder Westen", bei denen man den Staub der Straße auf der Zunge zu schmecken glaubt.

Madsen macht da weiter, wo El*ke aufgehört haben – und setzen noch einen drauf. Die Fünf aus dem Wendland sind dem Open Air-Publikum offensichtlich wohl bekannt. Beinahe alle Liedtexte werden mitgesungen und alles vor der Bühne wogt und springt. Intelligente und gefühlvolle Texte, untermalt mit energischen Gitarren, sowie eine ausgesprochene Lust am Spielen machen den Auftritt zu einem der Höhepunkte des Festivals.

Mit Naio Ssaion wird es wieder rustikaler. Denn Tine Cas und Luka Verdnik an den Gitarren der slowenischen Gothik-Rock-Band hauen heftig in die Saiten. Sängerin Barbara setzt mit ihrer voluminösen Stimme den Gegenpart, und Violinist Rok stürmt wie ein Derwisch über die Bühne.

Heiliges Bonbon

Das "Heilige Bonbon", so die Übersetzung von Karamelo Santo, kommt aus Argentinien. Salsa, Ska, Punk und Reggae beherrschen sie perfekt und laden die wogende Menge zur Party ein. Ein schwungvoller Bläsersatz und ein enorm druckvolles Drumset tragen ihren Teil dazu bei, dass kein Bein still stehen bleibt. Ein Beleg für das Durchhaltevermögen der Argentinier ist, dass sie im Backstage-Bereich noch bis in den Morgen jammen und feiern.

Den Wecker Samstagmorgen spielen The Camerons. Die jungen Weißenburger überzeugen mit ihrem Indie-Rock und druckvollem Spiel. Obwohl noch nicht allzu viele Besucher aus den Schlafsäcken gekrochen sind, werden The Camerons mit viel Applaus bedacht.

Mit psychedelischem Sound kommen die Overtones Undatake Test daher. Hier treffen düstere, zum Teil sehr harte Riffs auf vertrackte Soundwände und ruhige, melancholische Melodien.

Die Dread Cannibals aus München machen schon seit 1997 die Punkszene unsicher. Mit ihren energiegeladenen, rasend schnell vorgetragenen Songs finden sie schnell Freunde im Publikum und im Nu ist eine ganze Menge Musikfans am pogen.

Mit einem abgefahrenen Percussionsound, vereint mit Gitarren und einem zupackenden Schlagzeugspiel, begeistern Wild Chill am Nachmittag die Menge. Der chilenische Frontmann Niko Rosales Rios setzt dem Ganzen mit seinem südländischen Temperament die Krone auf. Alle sind fröhlich und friedlich und genießen die tanzbare Mischung aus Latin, Reggae und Ska.

"Das können doch nicht alle sein, die da sind", fällt Wilson Jr. auf. Und tatsächlich hat sich die Menge vor der Bühne etwas gelichtet. Schade für Wilson Jr., die mit ihrem variablen Spiel eigentlich sehr sehenswert sind.

Zwei Bassgitarren

Mit Dynamik und Intensität gehen Spitting Off Tall Buildings zu Werke. Sängerin (und Schauspielerin) Jana weiß, mit dem Publikum umzugehen. Spitting Off Tall Buildings verstehen sich auf überraschende, manchmal auch schräge Sounds. Wenn es sein muss, wird mit zwei Bassgitarren gespielt.

Die Gods Of Blitz scheinen tatsächlich auf Strom zu sein. Wenn es um frischen, geradlinigen Rock’n’Roll geht, sind die vier Berliner die richtige Adresse. Voller Tatendrang haben sie das Publikum sofort auf ihrer Seite. Mit "The Rising" haben sie auch einen kleinen Hit im Gepäck, der schon in vielen Fachblättern für Furore gesorgt hat. Vielleicht ist das wieder so eine Band, aus der etwas werden kann. Davon wurden ja schon viele auf dem Berg gesehen, man denke nur an die Sportfreunde Stiller und The Notwist.

Nach über vier Stunden im Stau ist Martin Jondo gerade noch rechtzeitig zu seinem Festivalauftritt in Eichstätt eingetroffen. Und trotzdem legt er sofort total entspannt los mit Roots-Reggae vom Feinsten und präsentiert die Songs seiner neuen CD. Leider hat er den Bläsersatz nicht nach Eichstätt mitgebracht, aber auch ohne Blech-Unterstützung hat er die Zuhörer gleich auf seiner Seite.

Zusammen mit Gentleman war Martin Jondo bereits einmal beim Open Air Am Berg, doch jetzt hat er sich freigeschwommen und präsentiert ein eigenständiges Set.

Feuerzeugmeer

Bei Culcha Candela wollen alle dabei sein, und der Platz vor der Bühne ist zum Bersten gefüllt. Sechs Vokalisten und ein DJ – das ist die ungewöhnliche Besetzung dieser Band. Deutsch-, englich- und spanischsprachige Lyrics mit einer Melange aus HipHop und Latin-Rhythmen sowie Reggae: Eine Culcha Candela-Live-show ist absolut sehenswert. Da folgt einer Latino-Power-Rapsession eine afrikanische Choruseinlage, siebenfache Moves und Tanzeinlagen zaubern ein optisches Feuerwerk, und sanfte Reggae-Croons von Mr. Reedoo sorgen für Gänsehautstimmung und ein Feuerzeugmeer. Diese Qualitäten brachten Culcha Candela den Ruf als eine der besten Livebands der Republik ein.

Mit E skorzo steigt anschließend die letzte Band für dieses Jahr auf die Bretter. Die andalusischen Ska- und Groovemusiker gelten als eine der vielseitigsten Bands der jungen spanischen Musikszene. Sie spannen einen Bogen vom Jazz aus New Orleans über jamaikanischen Reggae und Ska bis hin zu Funk und HipHop. Noch einmal heißt es also Tanzen bis zum Umfallen – bis um 3 Uhr in der Früh. ?Michael Bauer