Neuburg
Warum mussten sechs Menschen sterben?

90 Jahre nach den Morden in Hinterkaifeck dreht sich in einer Podiumsdiskussion alles um diese Frage

01.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:39 Uhr

Fünf Diskutanten, die sich intensiv mit der Tat auseinandergesetzt haben, vertraten ihre Theorien: (v.l.) Ex-Kulturamtsleiter Dieter Distl, Journalist Peter Leuschner, Gerhard Hetzer, Leiter des Hauptstaatsarchivs, Kriminaloberkommissarin Michaela Forderberg-Zankl und Konrad Müller, Kriminalbeamter außer Dienst. - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Der Abend im Stadttheater beginnt vielversprechend. Mystik, Grauen um den ungeklärten Sechsfachmord und jene düstere Zeit nach dem Ersten Weltkrieg werden in Ausschnitten aus dem Hinterkaifeck-Film von Kurt Hieber lebendig. Dann beginnt die Podiumsdiskussion.


 
Die Fraktion „Beziehungstat“ sitzt rechts außen – vom Zuschauer aus gesehen. Kriminaloberkommissarin Michaela Forderberg-Zankl, die sich mit einer 15-köpfigen Polizeischülergruppe an der Fachhochschule der Polizei in Fürstenfeldbruck mit dem Mordfall Hinterkaifeck auseinandergesetzt hat, und Konrad Müller, Kriminalbeamter außer Dienst, gehen davon aus, dass persönliche Motive hinter dem brutalen Sechsfachmord stehen.

Neuburgs Ex-Kulturamtsleiter Dieter Distl, zugleich Initiator des Abends, sitzt links außen und vertritt die These eines rechtsradikal motivierten Fememordes, wie er in den Jahren 1919 bis 1923 seine Blütezeit erlebte. Das Motiv? Der Einödhof Hinterkaifeck könnte als Waffenversteck gedient haben, meint Distl, der von Mördern berichtet, die zu jener Zeit hoch bezahlt und selten oder nie verfolgt wurden. Seine These stützt er unter anderem auf Wagenspuren, die vom Hof wegführten und die weder ein Beziehungstäter noch ein Raubmörder verursacht hätte, auf die relativ lange Zeit, die der oder die Mörder noch am Tatort verbrachten und auf die Verrohung der Freikorpsmitglieder, denen er eine solch unfassbare Tat zutrauen würde.

„Unterschätzen Sie Hass und Verachtung nicht – sie bringen Menschen zu unfassbaren Taten“, hält Forderberg-Zankl dagegen, räumt aber ein, dass die Theorie „durchaus diskussionswürdig“ sei. Müller berichtet von einer operativen Fallanalyse, deren Fazit lautete: „Zwischen Täter und Opfer bestand eine starke emotionale Beziehung“. Für Müller liegt das Motiv im so sinnlos scheinenden Tod des erst zweijährigen Josef. Distl dagegen sieht das pragmatisch: „Eine Kuh kann man füttern, dann ist Ruhe – bei einem Kind geht das nicht“.

Ein wenig schleppend ist die Diskussion in Gang gekommen, was nicht zuletzt an den weitschweifigen, teils in Füllwörtern ertrinkenden Einlassungen des Moderators liegt. Gerhard Hetzer, Leiter des Hauptstaatsarchivs, ist als ausgewiesener Experte für die damalige Zeit dabei, gibt das Wort aber nur zögerlich an die Hauptdiskutanten weiter. Selbst er meldet „große Zweifel“ an Distls Theorie an.

Journalist Peter Leuschner bleibt seinem Metier treu und hält sich weitgehend bedeckt. Er und Müller sind die Einzigen, die von Erfahrungen mit Zeitzeugen berichten können, und bestätigen Forderberg-Zankls These, dass sich nach längerer Zeit eigene Erinnerungen mit fremden mischen und nicht unbedingt glaubhaft seien.

Einig sind sich die Gesprächsteilnehmer darin, dass die Ermittler damals Einiges hätten besser machen können, wobei die Kriminaloberkommissarin klarstellt, dass heute ganz andere Möglichkeiten vorhanden seien, vieles nicht vergleichbar sei. Sie scheint sich ein wenig über den Eifer der anderen und der Fragesteller im Publikum zu amüsieren, vermittelt den Eindruck, weit mehr zu wissen, als sie preisgeben will. Der Bericht der Polizeischüler sei einsehbar, tritt sie anderslautenden Gerüchten entgegen. Und ja, sie seien schon zu einem Ergebnis gekommen, wer vermutlich der Mörder sei, „aber einen Namen werden Sie von mir nicht hören“, auch der Bericht nenne keinen Namen. „Zu welchem Schluss wir mündlich gekommen sind, steht auf einem ganz anderen Blatt.“

Natürlich hat niemand im Publikum ernsthaft erwartet, dass irgendwer an diesem Abend das Geheimnis lüften würde, doch dass es an den Zuhörern nagt – und an den vom Hinterkaifeck-Virus infizierten Podiumsteilnehmern ebenso – ist deutlich spürbar. Warum von staatlicher Seite keine Stellungnahme abgegeben werde, um die Spekulationen zu beenden, will ein Zuhörer wissen, weitere Fragen gibt es zu Distls Theorie und zum Motiv.

Die Diskussion fand für einen guten Zweck statt: 550 Euro sind nach mehr als zweieinhalb Stunden in den Spendenkörben zugunsten des Bibliothek-Fördervereins und werden an dessen Vorsitzenden Eugen Freiherr von Redwitz übergeben.