Das Genie auf Rädern
Walter Röhrl wird 75 Jahre alt - So geht es ihm heute

04.03.2022 | Stand 23.09.2023, 0:03 Uhr
Für vier verschiedene Hersteller gewann Walter Röhrl die legendäre Rallye Monte Carlo zwischen 1980 und 1984, darunter Audi. Seit einem Vierteljahrhundert ist er Markenbotschafter und Entwickler für Porsche. Mit Ehefrau Monika und Kater Maxi lebt der gebürtige Regensburger seit vielen Jahren in St. Englmar. −Foto: dpa

Der zweifache Rallye-Weltmeister Walter Röhrl gilt als der vielleicht beste Autofahrer aller Zeiten. Am Montag wird der gebürtige Regensburger 75.

St. Englmar/Regensburg - Das Ölgemälde an der Wand zeigt die Steinerne Brücke und den Regensburger Dom. Durchs Wohnzimmerfenster blickt Walter Röhrl auf die schneebedeckten Erhebungen des Bayerischen Waldes. Bei schönem Wetter, sagt er, reiche die Sicht bis zu den Chiemgauer Alpen. Hier, in St. Englmar (Kreis Straubing/Bogen), hat er vor bald 22 Jahren sein Refugium gefunden. "Sauwohl" fühle er sich in der Gegend, er liebe die Ruhe und schätze die "super Freizeitqualität". Die Formel-1-Legende Niki Lauda hat Röhrl einst ein "Genie auf Rädern" genannt. Bis heute verehren Fans den zweimaligen Rallye-Weltmeister und viermaligen Sieger des Motorsport-Monuments Rallye Monte Carlo als besten Autofahrer aller Zeiten. Das will etwas heißen in einem Land, in dem sich vornehmlich die männliche Bevölkerung dieses Etikett am liebsten selbst ans Revers heftet. An diesem Montag wird Walter Röhrl 75 Jahre alt.

Die Formel E?"Verarsche der Menschheit"

Von Altersmilde keine Spur. Röhrl ist und bleibt ein Grantler vor dem Herrn, ein Typ, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Gradheraus ist er, wie man auf gut bairisch sagt, und das auf eine höchst sympathische, zugewandte Art und Weise. Die Kurventechnik beherrscht das "echte Rengschburger G'wachs" (Röhrl) nur am Steuer eines Wagens, nicht verbal.

Wie er da unterm Kruzifix in der historischen Bauernstube sitzt, die er in sein Haus einbauen ließ, geißelt er die Formel E als "Verarsche der Menschheit: Wenn hinter den Lkw an der Strecke die großen Acht-Zylinder-Dieselaggregate tuckern und die Luft verpesten, damit genug Strom zur Verfügung steht, wird uns das als heile Welt und grüner Motorsport verkauft". Die Formel 1? Röhrl winkt mit seinen riesigen Pranken, die jeden seiner Sätze unterstreichen, ab. Das umstrittene Saisonfinale zuletzt mit dem dramatischen Showdown zwischen Lewis Hamilton und Weltmeister Max Verstappen hat er sich am Bildschirm angetan. "Dieses Rennen hat mir endgültig das Kraut ausg'schütt. Das schau' ich mir nicht mehr an, das interessiert mich nicht mehr. Das war ein Witz, eine Unverschämtheit!", wettert er. Da hilft selbst sein sehr gutes persönliches Verhältnis zum viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel, zu dem er eigens mal von einer Rallye auf Tasmanien zum Grand Prix nach Melbourne flog, nicht mehr.

Sein geliebter Rallyesport, der ihm gewaltige Popularität eintrug? Den verfolgt er wohl, aber nicht mehr an der Strecke. Mit dem achtfachen Weltmeister Sebastian Ogier, auch so ein guter Bekannter, steht er in ständigem Austausch. In anderen Ländern sei die Rennserie noch sehr beliebt, aber eine Renaissance in Deutschland schließt er so gut wie aus: "Hier gibt es in jedem Winkel einen Stoderer (Stadtmenschen/d. Red.), der aufs Land gezogen ist und sofort Protest schreit, wenn er mit einer Rallye belästigt wird. Schade, denn es ist der echte Autosport."

Der "Lange", so sein Spitzname, hat auch eine sehr nachdenkliche Seite. Walter Röhrl legt die Handkanten auf den Tisch und formt in etwa die Länge eines Lineals nach. Dann wandert die Rechte zur Linken, der Abstand verkürzt sich. Die Lebensspanne, die Zeit, die ihm noch bleibt, ist bemessen. Die Zahl 75 schockiere ihn, mache ihm Angst, gibt er zu. "Mir fällt auf, dass viele Freunde und Bekannte in meinem Alter die Gedanken an den Tod verdrängen. Ich habe sie ständig im Kopf. Mich beschäftigt das Thema, ich kann es auch nicht ausblenden. Ich horche immer in den Körper hinein, hab' jeden Morgen beim Aufstehen Sorgen, dass jetzt das große Wehwehchen kommen könnte, das der Anfang vom Ende ist", sagt er und fügt hinzu: "Den Hang zur Schwarzseherei habe ich von meiner Mutter geerbt."

Kreuzschmerzen peinigen ihn, auch das Hörvermögen ist nicht mehr so, wie es mal war. Auf Ohropax hat er zeit seiner Karriere verzichtet, um ein besseres Gefühl für den Boliden zu haben. Das rächt sich jetzt. Aber Walter Röhrl ist rastlos wie eh und je. Bewegung, ob mit Motorenunterstützung oder aus eigenem körperlichen Antrieb, ist sein Lebenselixier. Die hagere Gestalt des 1,95 Meter großen Regensburgers erinnert an einen höchstens Fünfzigjährigen. Der Bayerische Wald bietet ihm das ideale Ambiente, seine sportliche Passion auszuleben. "Ich möchte nicht mehr den Trubel und die Hektik der Stadt haben. Ich brauche kein Theater, kein Kino, kein kulturelles Drumherum. Ich brauche im Sommer mein Radl und im Winter die Ski. Ich kann mich nicht einfach mal hinsetzen und in Ruhe ein Buch lesen. Das konnte ich noch nie. Vergeudete Zeit!", sagt Röhrl.

Die Wohnung, die seine Frau Monika ("Mein Sechser im Lotto") und er noch in Regensburg haben, sei "praktisch unberührt: Ich habe seit unserem Umzug nur eine Nacht dort geschlafen". Trotzdem fühlt er sich seiner Heimatstadt innigst verbunden. Vorschläge, wie so viele Motorsport-Asse nach Monaco umzuziehen, habe er kategorisch abgelehnt: "So ein Krampf, was will ich denn da? Ich pfeif auf die Steuern!" Sein Co-Pilot Christian Geistdörfer habe ihm einst vorgeschlagen, auf dem Rückflug von Neuseeland einen Zwischenstopp auf Hawaii einzulegen. "Ich habe ihm gesagt: Was will ich auf Hawaii, wenn ich in Rengschburg sein kann? Da bin ich dahoam!"

Am liebsten ganzohne Geburtstagstrubel

Zwei Tage nach dem Wiegenfest geht's schon wieder weiter nach Schweden, zu Testfahrten für Porsche. Die absolviert er bisweilen noch, auch wenn er sich vor zwei Jahren eigentlich von diesem Job verabschiedet hat. Wenn Röhrl auf seine Laufbahn als Motorsportler zurückblickt, zieht er Vergleiche mit heute: "Ich sage zum Sebastian (Vettel/d. Red.) immer: ?Du hast es viel schwerer als ich.' Zu meiner Zeit hat sich der gute Fahrer viel klarer vom Feld abgesetzt. Heute sind die Autos so perfekt, dass jeder schnell sein kann. Früher kam das Talent viel mehr zum Tragen. Du kannst dich höchstens übers Risiko ein bisschen absetzen."

Große Festivitäten am 7. März wären ihm zuwider. "Ich mochte schon früher die Siegerehrungen nicht. Was kann ich dafür, dass ich 75 werde? Das ist kein Grund, mich zu feiern", sagt er, während Maxi ("Ein tiefergelegter Kater, sag' ich allaweil") in der Bauernstube um seine Füße streicht.

Normalerweise flüchtet Walter Röhrl vor dem Geburtstagstrubel, indem er nach Österreich fährt und Skitouren geht. Dafür fehlt heuer angesichts der vielen Verpflichtungen die Zeit. "Also bleib' ich daheim, gehe nur zum Mittagessen bei einem befreundeten Hotelier. Und später werden wahrscheinlich drei bis vier Freunde vor der Haustüre stehen", sagt er. Vermutlich werden es ein paar mehr sein, die das Genie auf Rädern hochleben lassen.

DK

Heinz Gläser