Istanbul
Wahre Fanliebe live vor Ort am Bosporus

27 türkischstämmige Schrobenhausener lassen sich das Derby zwischen Fenerbahce und Galatasaray nicht entgehen

27.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:56 Uhr
Prächtige Atmosphäre im Sükrü-Saracoglu-Stadion im Stadtteil Kad?köy: Sezer Ürün verfolgte das große Istanbuler Derby direkt im Fenerbahce-Fanblock hinter einem der beiden Tore. −Foto: S. Ürün

Istanbul/Schrobenhausen - Mittlerweile geht's wieder bei Sezer Ürün, seine Stimme ist wieder deutlich hörbar.

 

Am Dienstag krächzte er noch, am Montag war der 40-Jährige sogar überhaupt nicht zu verstehen gewesen. Ja, das Istanbuler Stadtderby zwischen Fenerbahce und Galatasaray ging nicht spurlos an ihm vorbei. Dabei hätte es für ihn doch ein rundum schöner Trip an den Bosporus werden sollen - gemeinsam mit 26 weiteren türkischstämmigen Fußballfreunden aus Schrobenhausen sowie dem waschechten FC-St.-Pauli-Anhänger Franz Stoß, dem einfach mal die Neugier mit in die Millionenmetropole trieb. Nun gut, am Ende waren zwar alle Beteiligten schon irgendwie begeistert - aber für den Großteil der Gruppe gab es eben doch einen eklatanten Schönheitsfehler: Fenerbahce verlor nämlich gegen den verhassten Erzfeind - erstmals seit 21 Jahren wieder zu Hause.

1:3 das Schlussresultat, da weinten die gelb-dunkelblauen Fußballherzen. Während Tolga Özen und Yavuz Halici im Block von "Gala" Momente erlebten, die sie wohl nie mehr in ihrem ganzen Leben vergessen werden. Ja, die Anhängerschaft flippte gerade nach den Treffern zum 2:1 beziehungsweise 3:1 regelrecht aus - die beiden Edelfans aus Schrobenhausen mittendrin. Gelbrote Glücksgefühle pur, die Erfüllung von zwei kleinen Lebensträumen - da nahmen es Halici und Özen anschließend auch gerne in Kauf, nach der Partie noch über zwei Stunden lang im Stadion verharren zu müssen. Auch die anschließende Bustour zurück in den europäischen Teil Istanbuls ärgerte das Duo keineswegs - obwohl sich das Schrobenhausener (und damit ihr) Hotel im asiatischen Part befand. So ist das eben immer bei diesem Derby. Als Gala-Anhänger kommt man nur geschlossen mit allen Gleichdenkenden in die Fener-Arena im Stadtteil Kad? köy. Allein anreisen? Schlichtweg verboten. Allein das Stadion verlassen wollen? Das könnte gesundheitsgefährdend werden.

Die Rivalität zwischen beiden Klubs ist eben immens groß, deutsche Hochsicherheitsderbys wie das zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund oder zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach wirken dagegen fast schon wie Kindergeburtstage. "Die meisten türkischen Fußballliebhaber sind entweder Fans von Fener oder von Gala", berichtet Asir Özen: "Dann gibt es noch einige, die Besiktas oder Trabzonspor unterstützen - aber das war's eigentlich schon in Sachen größerer Anhängerschaft. "

Der 41-Jährige unterstützt die Gelb-Dunkelblauen - wie sein Vater Hasan, wie sein Bruder Tugrul. Und eben im Gegensatz zu seinem Bruder Tolga, "Bei ihm haben wir anscheinend nicht richtig aufgepasst", lacht er. Die Niederlage vom Sonntag: Bei ihm schon längst verdaut. Zumindest nach außen hin. "Aber ganz ehrlich, ich hätte schon gerne mal einen Heimsieg gegen ,Gala' live im Stadion erlebt", so Asir Özen. Bereits zum dritten Mal war er nun bei einem dieser Megaderbys vor Ort, war nach zuvor zwei Unentschieden auch extrem optimistisch gewesen - um jetzt dieses fast schon historische 1:3 verdauen zu müssen. "Ich habe allen Galatasaray-Anhängern in meinem Freundeskreis aber sofort per Handy gratuliert", betont der Schrobenhausener: "Das gehört sich einfach, das muss so sein. "

Nein, bereut habe er den mehrtätigen Trip an den Bosporus keinesfalls. "Weshalb auch. Ich habe doch eine Menge schöner Sachen erlebt", so der 41-Jährige zufrieden. Am Donnerstag Besuch des Basketball-Euroleague-Matches zwischen Fenerbahce sowie Real Madrid und am Samstagabend ab ins Theater, so sah sein Programm aus - während ein Teil der Gruppe das Fußballspiel zwischen Besiktas und Trabzonspor live vor Ort anschaute. Also wirklich Theater statt Fußball? "Ja, meine 19-jährige Tochter Leyla, die dabei war, wünschte sich das", verrät der stolze Vater: "Und ich habe das dann in keinem einzigen Augenblick bedauert. "

 

28 Schrobenhausener in Istanbul - die konnten natürlich nicht alle zur gleichen Zeit das Gleiche unternehmen. Ausnahme war natürlich das Derby am Sonntagabend. Wobei es zunächst einmal eine logistische Meisterleistung war, Tickets hierfür zu organisieren - denn das Sükrü-Saracoglu-Stadion mit seinen offiziell 50609 Plätzen war natürlich bereits einige Wochen zuvor restlos ausverkauft gewesen. "Alles kein Problem, diese Aufgabe war dann im Schwarzmarkt leicht zu lösen", berichtet Asir Özen. Durchschnittlich 100 Euro mussten dort pro Eintrittskarte bezahlt werden. Nicht gerade billig. Aber auch nicht unverschämt.

Das Erlebnis dann an sich: sowieso unbezahlbar. Zumindest für jeden gestandenen türkischstämmigen Fußballfan, der etwas auf sich hält. Übrigens: Ein Bengalo-Verbot rund um Süper-Lig-Matches gibt es nicht, dementsprechend fleißig wurde bis zu einer Sperrzone rund 200 Meter vor dem Sükrü-Saracoglu-Stadion gezündelt - für umgerechnet nur zwei Euro das Stück. Schön anzusehen war's auf jeden Fall. Und, was zweifellos das Allerwichtigste hierbei war: Es passierte auch nichts.

Die Partie an sich: unbeschreiblich stimmungsvoll. Wobei nach dem 1:0 durch einen von Max Kruse verwandelten Foulelfmeter die gesamte Fener-Fangemeinde schon vom nächsten Sieg träumte. Aber Pustekuchen! Ryan Donk glich kurz vor dem Pausenpfiff aus (40.) - ehe Falcao (80./Foulelfmeter) und der Nigerianer Henry Onyekuru (90./+7) doch für gelb-dunkelblaue Depressionen sorgten. Manche, wie Asir Özen, nahmen die 90 Minuten einigermaßen klaglos wahr - andere, wie Sezer Ürün, waren anschließend eben heiser beziehungsweise sprachlos. Fußball kann grausam sein.

Aber echte Fans vergessen schnell - und blicken sofort wieder nach vorne. Aus Sezer Ürüns Sicht bedeutet das: "Ich werde definitiv wieder zu Fener-Heimspielen reisen, wenn ich die Zeit dazu habe. " Familiären Ärger gibt es deshalb übrigens nicht. Sogar im Gegenteil: "Das Ticket zum Derby habe ich von meiner Frau Kübra bekommen - als Geschenk zu meinem 40. Geburtstag", verrät der Schrobenhausener. Dafür sollte er sich doch bald revanchieren, oder? Sezer Ürün lacht: "Ja, das sollte ich. Deshalb fahre ich über Ostern mit Kübra vier Tage nach Istanbul zum Entspannen. " Und wie es der Zufall so will, hat Fenerbahce am Karsamstag auch ein Heimspiel - nämlich gegen Malatyaspor. Wer jetzt daran glaubt, dass die beiden Ürüns da nicht im Sükrü-Saracoglu-Stadion sind, ist selbst schuld.

Auch Asir Özen wird definitiv wieder Fußballmatches seiner Gelb-Dunkelblauen am Bosporus besuchen. Welches als nächstes? Dazu gibt es noch keine konkreten Pläne. "Eigentlich hatte ich vor, am allerletzten Spieltag gegen Rizespor live dabei zu sein, um dann vor Ort den Gewinn des Meistertitels feiern zu dürfen", verrät der 41-Jährige: "Aber mit dem ersten Platz wird es für uns in der laufenden Saison wohl doch nichts mehr werden. " Sagt's und lässt noch ein leises "Leider" folgen. Wobei das bei ihm nichts mit irgendeiner Heiserkeit wegen des vergangenen Wochenendes zu tun hat.

SZ

Roland Kaufmann