Wahlwerbung mit viel Emotion

Millionen Klicks für Werbespot des EU-Parlaments zur anstehenden Europwahl am 26. Mai

06.05.2019 | Stand 02.12.2020, 14:03 Uhr

−Foto: EU Parlament

Auf die ganz großen Gefühle setzt das EU-Parlament mit einem neuen Werbespot. In einem rund dreiminütigen Video sind werdende Eltern, Geburten, Neugeborene und überglückliche Familien aus sämtlichen EU-Ländern zu sehen. Der Clip ist Teil einer Kampagne des Parlaments in Brüssel, um den Gang zur Urne bei der anstehenden Europawahl attraktiver zu machen.

Werdende Eltern, die kurz vor der Geburt ihres Kindes stehen, das Neugeborene im Kreise ihrer Familien willkommen heißen und von den Emotionen überwältigt werden - und das in verschiedenen EU-Ländern. Genau darum geht es in einem rund drei Minuten langen Werbespot, der dazu animieren soll, bei der anstehenden Europawahl am 26. Mai zur Urne zu gehen. 

Das Europaparlament setzt dabei auf die ganz großen Gefühle, lässt den Zuschauer teilhaben an Schmerz, Glück, Angst und Erleichterung. Im Hintergrund läuft ruhige Klaviermusik und es ist die Stimme eines Mädchens zu hören, das über die Zukunft spricht und am Ende des Videos folgenden Satz sagt: "Wähle das Europa, in dem ich aufwachsen soll."

Am 25. April ging der Werbespot, der laut den Machern echte Geburten zeigt, online. Mittlerweile hat er 29 Millionen Aufrufe auf Youtube. Das Video, das der Regisseur Frédéric Planchon gedreht hat, soll den Menschen die Europawahl wieder ins Gedächtnis bringen, das Setzen des Kreuzchens attraktiver machen. Produziert wurde der Clip mit dem Titel "Wähle deine Zukunft" in allen 24 EU-Sprachen, fünf Welt- sowie 31 Gebärdensprachen und ist Teil der Kampagne für eine höhere Wahlbeteiligung. Insgesamt 33 Millionen Euro gibt das EU-Parlament für die Wahlwerbung, knapp 2,5 Millionen davon  für den Werbespot.

 

 

KOMMENTAR

Keine Frage, eine Geburt gehört zu den emotionalsten Erlebnissen des Menschen. Es treffen sämtliche Gefühle aufeinander und die Bilder von frischgebackenen Eltern, die ihr Kind das erste Mal sehen und ihr Glück nicht fassen können, lassen wohl auch den härtesten Kerl nicht kalt. Aber dieser höchst emotionale Moment sollte nicht dafür benutzt werden, um Menschen zum Gang an die Wahlurne zu motivieren. 

In dem Wahlvideo fallen Sätze wie „ Wähle das Europa, in dem ich aufwachsen soll", "Jedes Kind, das geboren wird, ist ein weiterer Grund, die Zukunft besser zu machen" oder "Als vereintes Europa können wir vorangehen". Und dabei wird ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt, denn es zeigt werdende Mütter in den Wehen, ängstliche Väter, die mit der Situation überfordert sind, und schließlich die Geburten, das große Glück am Ende von Schmerz und Bangen. Hinzu kommen melancholische Klaviermusik und natürlich die Bilder der Neugeborenen selbst. Denn wer die Extraportion Emotion will, der setzt Kinder ein - und besonders Babys, denn diesen kleinen verletztlichen und hilflosen Wesen kann man keinen Wunsch abschlagen.

Doch die Macher des Videos haben etwas Wichtiges vergessen: die essenziellen Sachthemen. Was bedeutet eine Europawahl? Warum gibt es sie überhaupt und wen wählt man da eigentlich? Welchen Einfluss haben die, die in diesem riesigen Gebäude in Brüssel sitzen? Mit emotionalen Themen gewinnt man vielleicht potenzielle Wähler, bringt sie aber nicht dazu, die Europawahl zu verstehen. Hinzu kommt, dass die harten Thesen wie "Klimawandel bremsen", "Grenzen sicher machen" und "Terrorismus bekämpfen" direkt nach den Bildern kommen, als sich die Familien nach der Geburt ihres kleinen Wunders in Glückseligkeit baden. Der Zusammenhang fehlt, es wirkt unvermittelt.

Die Tränendrüse mit emotionalen Bildern  und ganz viel Pathos mag zwar Aufmerksamkeit erlangen und die Menschen berühren. Doch um die Europawahl und ihre Bedeutung zu verstehen, braucht es mehr als glückliche Familien und den Moment des unbeschreiblichen Glücks nach einer Geburt.