Ingolstadt
Wackernagels Family Business

13.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:20 Uhr

Mit einem Mix aus Komödie, Lovestory und Politsatire geht Regiedebütant Jonas Grosch in "Résiste" dem Phänomen der viel zitierten Generation Praktikum auf den Grund. Es spielen: Sabine Wackernagel (links), ihre Tochter Katharina und deren Onkel Christof. - Foto: Movienet

Ingolstadt (DK) Als Kind machte sie ihre Hausaufgaben oft in der Theatergarderobe. Und bekam viel von dem aufregenden Leben auf und hinter der Bühne mit. Sabine Wackernagel ist ein richtiges Theaterkind.

Ihre Mutter Erika war Schauspielerin, ihr Vater Peter Intendant am Ulmer Theater – und ihr eigener Berufswunsch früh klar. Zur Beruhigung der Mutter lernte sie zunächst Fremdsprachenkorrespondentin, nahm aber parallel dazu Schauspielunterricht. "Das Ziel war die Bühne. Und da bin ich auch hin." Nach einem halben Jahr in Memmingen begann sie ihr erstes richtiges Engagement in Ingolstadt. Und hat an diese Zeit eindringliche Erinnerungen. Etwa die Begegnung mit Marieluise Fleißer. Denn der "Starke Stamm" stand auf dem Spielplan – und Sabine Wackernagel gab das Annerl. "Wir saßen in dieser Wohnküche. Und ich war schwer beeindruckt von Marieluise Fleißer. Aber ich war so schüchtern, dass ich gar nichts gesagt habe."

Der Bruder und die RAF

Der Schauspielvirus hatte auch ihren Bruder Christof infiziert. Mit 14 Jahren war er entdeckt worden (da ging er noch in München aufs Gymnasium), 1967 übernahm er seine erste Hauptrolle in Johannes Schaafs Film "Tätowierung", der auch im Wettbewerb der Berlinale lief. In der Folge erhielt er zahlreiche Angebote und war gut im Geschäft.

Bis er im Sommer 1977 – zu diesem Zeitpunkt sympathisierte er seit längerem schon mit der RAF – untertauchte und schließlich im November des gleichen Jahres in Amsterdam festgenommen wurde. Auch die Familie bekam das zu spüren. "Es gab Hausdurchsuchen bei den Eltern in München, und auch unser Telefon wurde abgehört", erzählt Sabine Wackernagel. "Ich war zwar nie seiner Meinung, aber ich habe mich natürlich für ihn eingesetzt – beispielsweise für Hafterleichterungen." Nach Verbüßung der Gefängnisstrafe kam er 1987 auf Bewährung frei und wurde auch zunächst wieder für Rollen gebucht: etwa in "Ein Mann für jede Tonart", "Der bewegte Mann" oder "Männerpension".

Doch Christof Wackernagel ist ein umtriebiger Geist, steckt stets voller neuer Pläne. So wollte er beispielsweise in Mali, wohin er sich zurückgezogen hatte, eine Vollkornbäckerei eröffnen. Ein Projekt, das trotz intensiver Vorbereitungen schief ging. Kleiner Trost: Eine Großbäckerei in Bamako backt jetzt nach seinem deutschen Rezept. "Er hat immer neue Projekte entwickelt", erzählt die Schwester. "Jetzt macht er zusammen mit einer Ärztegruppe Straßentheater – für eine Aufklärungskampagne."

Das hat auch Jonas Grosch interessiert. Der Sohn von Sabine Wackernagel hat nach Abitur und Zivildienst an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Drehbuch studiert. Und über den Onkel einen Dokumentarfilm gedreht. "Der Weiße mit dem Schwarzbrot" erzählt von dem gescheiteren Bäckerei-Projekt, aber auch von dem Schriftsteller, Maler, Spielerfinder, Träumer – und Ex-Terroristen Christof Wackernagel.

Auch in Jonas Groschs jüngstem Film, seiner Abschlussarbeit an der HFF "Konrad Wolf", spielt der Onkel mit. Mit Jonas’ Mutter Sabine Wackernagel gibt er in "Résiste – Aufstand der Praktikanten", einer eigenwilligen Liebeskomödie in Zeiten der Generation Praktikum, ein Alt-68er-Ehepaar. In der Hauptrolle ist Katharina Wackernagel zu sehen, Jonas’ Schwester. Philipp, der älteste Bruder, ist ebenfalls mit von der Partie – als Statist in einer Kneipenszene. Sonst ist ihm das Filmgeschäft eher fremd. Der 34-Jährige arbeitet als Informatiker und Mathematiker.

Dass Katharina den Weg zur Schauspielerei einschlagen würde, war den Eltern schon früh klar. "Obwohl es bei uns viel bürgerlicher zuging als bei meinen Eltern", meint Mutter Sabine Wackernagel. "Mein Mann war Lehrer, das war günstig für die Familie, weil er so ein ruhender Pol war. Und: Er hatte andere Tageszeiten als ich. Da konnte man Familie und Beruf gut organisieren."

Schon als kleines Mädchen organisierte Katharina Theatergruppen mit ihren Freundinnen, dramatisierte Märchen, bastelte Kostüme. Der Weg zur Schauspielschule war eigentlich vorgezeichnet. Doch dann wurde sie in der 12. Klasse unter 400 Bewerberinnen für die Titelrolle einer Serie ausgewählt. "Tanja" lief drei Jahre lange im Fernsehen. Und das Spiel vor der Kamera löste den Traum vom Theater ab. Kein einfacher Weg. Aber sie hat es geschafft. Die heute 31-Jährige zählt mit Filmen wie "Das Wunder von Bern", "Das Wunder von Lengede" oder "Contergan – eine einzige Tablette" längst zur Riege der bekannten jungen deutschen Darstellerinnen. Und weil sie sich zur Familientradition der Schauspielerinnen bekennen wollte (wie Großmutter und Mutter), hat sie den Namen Wackernagel angenommen. Heute lebt sie mit ihrem Bruder Jonas (28) in einer WG in Berlin und tüftelt mit ihm viele Projekte aus.

Faible für Ringelnatz

Auch mit Mutter Sabine steht Katharina hin und wieder bei literarisch-musikalischen Programmen auf der Bühne. Mutter und Tochter teilen das Faible für skurrile Texte – von Robert Gernhardt, Ringelnatz, Morgenstern und Jandl.

Denn die Literatur entdeckt Sabine Wackernagel neben der Bühnenarbeit mehr und mehr für sich. Sie erarbeitet eigene Fassungen von Thomas Manns "Lotte in Weimar", liest Briefe von Rosa Luxemburg oder von Bettine von Arnim – live und auf CD.

Seit einigen Jahren ist Sabine Wackernagel auch wieder als Gast in Ingolstadt präsent. Man kennt sie als Celia Peachum aus der "Dreigroschenoper", als Aase aus "Peer Gynt" und als Frau Zucker in "Unschuld". Derzeit laufen die Proben für "Pornographie", das am 19. Februar Premiere hat. Am 22. Januar zeigt die Schauspielerin darüber hinaus ihr Können im Kleinen Haus (20 Uhr) in Hermann Brochs "Erzählung der Magd Zerline". Dann schlüpft sie in die Rolle der Magd, die dem Untermieter im Haus der Baronin, der sie seit mehr als 30 Jahren dient, ihre Lebensgeschichte beichtet. Eine Liebesgeschichte. Ein Kriminalfall. Und auf jeden Fall: spannendes Theater.