Eichstätt
Vorsichtig optimistisch in die Zukunft

Richard Nate und Martin Kirschner zogen im letzten K'Universale-Vortrag Bilanz

07.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:53 Uhr
Die Bilanz zur K'Universale-Vortragsreihe mit dem Thema "Europa?!" zogen die beiden Organisatoren Martin Kirschner (links) und Richard Nate in der letzten Veranstaltung. −Foto: Schulte-Strathaus

Eichstätt (EK) Dreizehn profunde Vorträge waren im Rahmen der Vortragsreihe Forum K'Universale im Wintersemester 2018/19 zu hören: Sie alle beschäftigten sich aus unterschiedlichsten Erfahrungsbereichen und Zugangsweisen mit dem Thema "Europa?!".

In zwei Abschlussvorträgen zogen die beiden Organisatoren der diesjährigen Vortragsreihe, Richard Nate, Inhaber des Lehrstuhls für englische Literaturwissenschaft, und Martin Kirschner, Inhaber der Professur für Theologie in Transformationsprozessen der Gegenwart, nun Bilanz.

"Europa fehlt ein Narrativ" - diese Einschätzung hatten viele der Referenten der Vortragsreihe geteilt. Dies motivierte Richard Nate dazu, schlaglichtartig einen kulturhistorischen Rückblick auf Europa-Narrative zu werfen, nicht ohne dabei darauf zu verweisen, dass derlei Narrative als Mythen oder Metaphern kulturelle Eigenschaften oftmals stark verkürzen, vereinfachen oder überbetonen. Dennoch, so Nate: "Europa-Narrative gibt es schon sehr lange." So sah Friedrich Schiller 1789 in einer Rede über das Studium der Universalgeschichte die europäische Staatengemeinschaft bereits in eine große Familie verwandelt, deren Hausgenossen sich zwar einander anfeinden, aber hoffentlich nicht mehr zerfleischen würden. Nationalistisch geprägte Narrative gaben 1808 der Philosoph Johann Gottlieb Fichte in seiner berühmten "Rede an die deutsche Nation" preis, in der er nur den Deutschen ein wahrhaftes Volk zusprach, sowie auch Wilhelm II., der heroisches Handeln hochbeschwor, das schließlich 1914 auch praktisch eingefordert wurde.

Auch beim englischen Schriftsteller H. G. Wells wurde Anglist Richard Nate fündig: Wells setzte sich bereits 1901 für eine supranationale Alternative ein und sprach mit Blick auf das gerade begonnene 20. Jahrhundert vom "Traum Europas". Während sich Schriftsteller Stefan Zweig unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs ohne jede Hoffnung über das verlorene Europa äußerte, entwarf dann erst US-Präsident Franklin Roosevelt 1945, wenige Monate vor Kriegsende, wieder eine Vision für Europa und die internationalen Beziehungen: "Wir haben gelernt, das wir nicht alleine leben können, dass wir Bürger der Welt sind, Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft." Mit einem Blick auf aktuellere, durchaus positive Einschätzungen zu Europa schloss Referent Richard Nate: Hatte der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin 2004 bereits seinen "Europäischen Traum" in Form einer Vision der "leisen Supermacht" nach Europa gebracht, die sich allerdings durch das Aufflammen starker nationaler Interessen bislang nicht realisiert habe, so erinnere der Historiker Philipp Blom in seinem Buch "Was auf dem Spiel steht" an die Vielzahl von Projekten in Europa, die in der Geschichte bereits Realität wurden: die Idee der Gleichheit und Menschenrechte, Emanzipation der Frauen und Homo-Ehe, ungeahnte technologische Entwicklungsschübe, Toleranz und Solidarität. "Könnten oder sollten diese Werte in Europa nicht ein neues Narrativ sein?, fragte Nate abschließend.

Die Komplexität Europas stand im Fokus der Abschlussbetrachtung des Theologen Martin Kirschner. Nicht erst seit Papst Franziskus, der immer wieder das politische Weltgeschehen aus katholischer Perspektive hinterfragt und sich kritisch zur Entwicklung Europas geäußert habe, wüssten wir, dass die Theologie Impulse für die Europapolitik setzen könne, so Kirschner. Der Theologe stellte fünf Thesen zur Entwicklung Europas auf, die sowohl die christlich-abendländische Tradition unseres Kontinents als auch dessen Diversität und künftige Herausforderungen mit berücksichtigten. Zunächst sei es notwendig, das Politische neu zu organisieren und auf dieser Basis die EU als Kernstück jenseits nationalstaatlicher Grenzen zu erhalten und zu fördern. Mehrere Vorredner, so erinnerte er, hätten betont, dass die Europäer zugleich ihre regionale und nationale Identität behalten und als Gemeinschaft stark und handlungsfähig bleiben könnten.

Neben diesem "Ja" zur europäischen Integration mahnte Kirschner eine Rückbesinnung auf die "Seele" Europas an - die gemeinsamen kulturellen Werte und Prinzipien. Zugleich seien innerhalb und außerhalb dieser Gemeinschaft weiterhin Grenzziehungen notwendig, die aber nicht zur Ausgrenzung anderer führen dürfen, sondern "Zonen des Austauschs und der menschlichen Begegnung bleiben" müssten, so der Theologe. Darin erst zeige sich die eigentliche europäische Humanität.

Immer wieder sollten wir Europäer einen Perspektivwechsel anstreben, forderte Kirschner. Gerade die Gruppen der Marginalisierten und Ausgeschlossenen kämen so in unseren Blickwinkel, wie auch Papst Franziskus unlängst betonte. Eurozentrismus und Isolationsbestrebungen würden Europa hingegen in der globalen Entwicklung zurückwerfen - wie dies früher bereits Kolonialismus und Imperialismus gezeigt hätten. Schließlich forderte Kirschner in seiner letzten These eine Kultur der Erinnerung: Unsere gegenwärtige Existenz sei stets eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ein notwendiger Blick in eine Zukunft, für die wir die Verantwortung tragen. Innerhalb dieser beiden Pole, so schloss Kirschner, dürfen wir als Europäer vorsichtig optimistisch nach vorne blicken.

Dagmar Kusche