STADTGEFLÜSTER
Vorrangrouten oder des Radlers Utopie

16.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:23 Uhr

(peh) "Unter dem Pflaster liegt der Strand.

" Einige der Älteren unter uns werden sich noch an die gleichnamige anarchistische Zeitschrift von Hans Peter Duerr erinnern. Oder an diesen Slogan, der im Mai 68 zum geflügelten Wort wurde und der Situationistischen Internationale zugeschrieben wird. Aber diese vermutlich letzten echten Vertreter der Avantgarde des 20. Jahrhunderts existieren ebenfalls schon längst nicht mehr.

Nicht ganz so revolutionär ist der Schwung der Arbeiten in der Fußgängerzone, wo ja jetzt damit begonnen wurde, die wahrlich nicht mehr ganz so hübschen Betonplatten in der Ludwigstraße herauszureißen. Unverbesserliche Nostalgiker aus der späten Wirtschaftswunderzeit werden den leicht morbiden Charme der 1. Fußgängerzone Bayerns schon bald vermissen, wie bereits erste Stimmen aus Kreisen von Archäologen und Bodendenkmalfetischisten laut wurden, die zumindest einen kleinen Teil dieses inzwischen ja auch schon fast historisch zu nennenden Ensembles für spätere Generationen erhalten wollen. Doch wollen wir die Stadt jetzt mal machen lassen und schauen, ob unter dem Pflaster ein Strand liegt.

Was effektives Arbeiten bewirken kann, zeigte sich dieser Tage in der Haunwöhrer Straße. Alter Straßenbelag weg, neuer Asphalt drauf. Schön schaut er aus, der schwarze Teer, und leiser soll der Verkehr auch werden. Ohne auf die Barrikaden zu gehen, wurde ab der Tankstelle Weigl die Utopie einer autofreien Stadt zur Wirklichkeit. Gut, dass dafür die Nebenstraßen kurz vor dem Kollaps waren, soll nicht verschwiegen werden. Wobei richtig auffiel, wie viele Autos das Kennzeichen "ND" hatten. Aber die Haunwöhrer Straße war ein Erlebnis. Keine Autos, kein Verkehr, kein Stau. Es wäre sogar richtig ruhig gewesen, wenn nicht auf einmal die ganzen Vögel so laut gepfiffen hätten. Fußgänger schlenderten über die Fahrbahn, Radfahrer erlebten ungeahnte Glücksmomente. Vor allem die strukturkonservativen Anarchisten unter ihnen. Schöner kann ziviler Ungehorsam nicht sein, als mindestens fünf Verbotsschilder zu missachten und mitten auf einer autofreien Straße gemächlich vor sich hin zu pedalisieren.

Leider wird es mit dieser Utopie bald vorbei sein. Dann werden wir wieder brav an der Druckampel beim Inder stehen, um sicher über die Straße zu kommen. Und werden warten. Und uns dumpf erinnern, dass die Stadt doch irgendwas machen wollte für die Radler. . . Was war das jetzt noch gleich?

Doch ein kleiner Rest an Revolution wird immer in uns schlummern. Und diese innere Stimme wird uns - gerade in diesen Tagen - an den Mai 68 erinnern und uns zurufen: "Seid realistisch, fordert das Unmögliche! " Es muss ja keine komplette Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein, möchten wir ergänzen. Wir in Ingolstadt sind ja in solchen Dingen bescheiden geworden. Uns würde ja schon eine Vorrangroute für Radfahrer langen. . .