Ingolstadt
Von soldatischer Ethik und ritualisiertem Gedenken

Betrachtungen zum Stauffenberg-Attentat im Armeemuseum: Der 20. Juli 1944 aus militärischem Blickwinkel

16.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:01 Uhr |
Buchvorstellung im Armeemuseum: Direktor Ansgar Reiß (Mitte) mit dem Autor Winfried Heinemann (r.) und Co-Referent Johannes Hürter.Heinemanns Werk ist leider derzeit vergriffen. − Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Die neuere deutsche Geschichte gibt manches erinnerungswürdige Datum und entprechende Jahrestage her, oft genug mit sehr ernstem Hintergrund.

Im kommenden Sommer wird eines Ereignisses zu gedenken sein, das im Laufe der Zeit in wechselndem Licht betrachtet worden ist: Das Stauffenberg-Attentat auf NS-Diktator Adolf Hitler liegt nunmehr 75 Jahre zurück. Im Bayerischen Armeemuseum hat aus diesem Anlass am Mittwochabend der Militärhistoriker Winfried Heinemann sein Buch "Unternehmen Walküre - eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944" (im Handel momentan vergriffen, 2. Auflage in Vorbereitung) vorgestellt.

Der Autor, bis zur Pensionierung vor einem Jahr Oberst am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, traf im Neuen Schloss auf knapp 100 Zuhörer (darunter auch Stauffenbergs Sohn Berthold), die wohl durchweg mit einiger geschichtlicher Vorbildung ausgestattet waren - und die war auch notwendig: Es ging hier nicht um eine reine Nacherzählung jenes größten und dennoch misslungenen Umsturzversuches von Widerstandskämpfern während der NS-Zeit, sondern um eine tiefere Betrachtung der Motivationslage bei den beteiligten Offizieren der Wehrmacht. Kenntnisse zu den Abläufen und handelnden Personen wurden quasi vorausgesetzt - es ging, um es salopp zu formulieren, gleich ans Eingemachte.

Winfried Heinemann sieht sich als den bislang ersten Quellenforscher, der die Rolle des militärischen Widerstands gegen die Nazis bis in hintere Winkel ausgeleuchtet hat. Seine Erkenntnisse konnte er am Mittwochabend in der gebotenen Kürze natürlich nur sehr komprimiert darstellen. Seine Kernthese: Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Bombenleger der Wolfsschanze, und die mit ihm verbundenen Verschwörer aus dem Offizierskorps handelten nicht als demokratisch beseelte Abweichler, sondern aus einer national-konservativen, teils auch religiös unterlegten Grundhaltung heraus.

Einige aus Reichswehrzeiten an recht offene Diskussionen in vertrauten Zirkeln gewohnte militärische Führer hätten diese Tradition in der Wehrmacht fortgeführt. Heinemann: "Es ging um militärische Fragen, die immer mehr ins Politische übergingen. " Der Korpsgeist habe meistenteils verhindert, das vom NS-Kurs abweichende Meinungen gemeldet wurden: "Gepetzt wurde nicht. "

Vor allem aber ihr häufig in langen preußischen Familientraditionen geprägtes ethisches Verständnis von Soldatentum, so hat der Autor erkannt, sahen die Skeptiker um Stauffenberg mit Fortschreiten des Krieges im Osten von Staats- und Wehrmachtsführung mehr und mehr verraten. Habe man anfangs einen Krieg gegen Russland als Kampf gegen den Bolschewismus verstanden und gut geheißen, sei mit dem immer offenkundigeren Hauptanliegen der Nazis - die rassistisch motivierten systematische Vernichtung von Menschenleben - ein militärisch nachvollziehbares und erreichbares Kriegsziel verloren gegangen. Heinemann: "Ein Krieg, der nicht gewonnen werden kann, wird zum Verbrechen auch am deutschen Volk. "

Das hätten die Verschwörer nicht mehr mit ihren Überzeugungen vereinbaren können. Die Erkenntnis, dass das Reich durch die Verbrechen der Nazis mehr und mehr "friedensunfähig" wurde, habe sie letztlich gemeinsam mit Verbündeten aus dem zivilen Widerstand zum Handeln getrieben - offenbar in der irrigen Annahme, zumindest an der Westfront noch einen Waffenstillstand erreichen zu können.

Ansgar Reiß, Direktor des Armeemuseums und Ideengeber für diesen Abend, hatte als Co-Referenten den Historiker Prof. Johannes Hürter vom Münchner Institut für Zeitgeschichte eingeladen. Hürter und Heinemann kennen sich von früheren, ähnlichen Veranstaltungen und gehen deshalb, wenn es um Interpretationen von Begebenheiten aus den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte geht, bereits recht geübt in den Diskurs. Sehr weit oder gar grundsätzlich auseinander, das wurde auch jetzt in Ingolstadt deutlich, liegen sie allerdings nicht.

Hürter ging es vor allem um die Feststellung, dass große Teile der Wehrmachtsführung von Beginn an über die wahre Motivlage der Nazis beim Russlandfeldzug informiert waren und den Irrsinn eines ideologisch motivierten Vernichtungskrieges bis zuletzt mitgetragen haben: "Man wusste vor dem ersten Schuss, worauf man sich eingelassen hat. " Die auch vom Militär geteilte Idealvorstellung, "alles auf eine Karte zu setzen" und die Sowjetunion in einem Blitzkrieg niederwerfen zu können, sei dann schwer enttäuscht worden. Ein Teil der Offizierselite sei wohl erst ins Grübeln gekommen, nachdem Ende 1942 offensichtlich wurde, dass es für den Feldzug im Osten "keinen Plan B gab".

Ein Teil der Betrachtungen drehte sich am Mittwoch auch um die Frage, wie die Nachwelt das Attentat des 20. Juli 1944 und die Rolle der Verschwörer bewertet. Dass diese Männer nicht als Väter der bundesdeutschen Grundgesetzes durchgehen, müsste laut Winfried Heinemann schon länger klar sein, dass ihre Motivation aber heute vielfach auf rein ethisch-moralische Aspekte ("Aufstand des Gewissens") verengt wird, passt ihm gar nicht. Heinemann: "Ritualisiertes Gedenken bedeutet: Keine Offenheit für neue Forschungsansätze. Ritualisierung stumpft ab - hören wir dann überhaupt noch zu? "

Bernd Heimerl

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