Ingolstadt
Von Social Sofa bis Bürgergärten: Piusviertel als Modellregion

Programm PartQ: Studie anhand von drei Projekten

13.12.2021 | Stand 23.09.2023, 22:16 Uhr
Nicht immer nur Negativschlagzeilen: Die Quartiersmanager Karl Hofmann und Sabine Engert freuen sich über die Möglichkeit, im Rahmen des Programms PartQ, drei geförderte Projekte im Piusviertel als eine von sechs Modellregionen umzusetzen. Die Ideen für die Projekte sind in kleinen Arbeitsgruppen entstanden. −Foto: Hammer

Ingolstadt - Das Piusviertel ist bekannt - sogar in Berlin. Wie wäre es sonst zu erklären, dass sich die Minor Wissenschaftsgesellschaft im Stadtteiltreff Piusviertel gemeldet hat, um dort praxisorientiert zu forschen. Doch was bedeutet diese Formulierung genau?

Licht in die Sache bringen die beiden Quartiersmanager Karl Hofmann und Sabine Engert. "Bei dem Programm PartQ geht es darum, Projekte einzureichen, die Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger im Quartier schaffen", erklärt Hofmann. Teilhabe und Mitbestimmung sollten ebenfalls gefördert werden. Da die Mitarbeitenden des Stadtteiltreffs Hofmann zufolge sowieso mehr im Bereich der Teilhabe oder politischen Bildung machen wollten, rannte Minor mit ihrem Anruf offene Türen ein. In Ingolstadt arbeitet der Stadtteiltreff Piusviertel bei PartQ mit der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWG) und der Evangelischen Aussiedlerarbeit im Dekanat Ingolstadt zusammen.

"Wir durften drei Projektvorschläge einreichen. Um die zu finden, haben wir drei Workshops gemacht", erzählt Engert. Beim ersten Treffen sei es darum gegangen, mit den etwa 20 Beteiligten herauszuarbeiten, welche Themen für die Menschen im Piusviertel interessant sind: "Drei Themen haben sich herauskristallisiert: Begegnungsorte, Natur sowie Konflikte, beziehungsweise positiv formuliert, das Zusammenleben fördern", zählt Engert auf. Beim nächsten Treffen haben zwischen 12 und 14 Personen Ideen zu diesen Stichworten gesammelt. Die gleiche Personenanzahl hat dann je ein konkretes Projekt entwickelt. Die drei finalen Konzepte hat Karl Hofmann bei Minor eingereicht. "Ende November haben wir die Nachricht bekommen, dass alle drei Projekte genehmigt worden sind", freut sich der 46-Jährige. "Wir haben 12000 Euro ins Piusviertel geholt. Damit kann man arbeiten."

Das erste Projekt heißt "Alt erzählt Jung, Jung erzählt Alt". Im Rahmen von Erzähl-Cafés und Spaziergängen soll es einen Austausch zwischen Generationen geben. Dieser Austausch wird auf Video festgehalten und dokumentiert. "Für dieses Projekt bräuchten wir so sieben, acht Pärchen. Das müsste uns anhand der Einwohnerzahl auch gelingen", sagt Hofmann. Die zweite Idee ist ein Social Sofa. "Das ist zunächst mal ein Betonrohling, den die Bewohnerinnen und Bewohner mit Mosaiksteinen gestalten sollen", erklärt Engert. Eine Mosaikkünstlerin begleitet die Aufgabe. "Welche Motive sie mit den Steinchen auf das Sofa legen, müssen die Leute selber erarbeiten." Je nach Motiv kämen laut der 56-Jährigen zwischen 200 und 600 Arbeitsstunden zusammen. Je mehr Leute sich beteiligen würden, desto weniger Arbeit bedeute das natürlich für den Einzelnen. An diesem Sofa sollen "Veranstaltungen stattfinden". Egal ob ein Konzert, eine Sprechstunde mit dem Oberbürgermeister oder dem Jugendparlament - eben eine Anlaufstelle für Austausch und Kommunikation auf Augenhöhe. "Die Leute sollen nicht nur konsumieren wie in unserem Kursangebot im Stadtteiltreff", erzählt Hofmann. "Jetzt geht es darum, Leute zu aktivieren. Es ist wichtig, mit Aktionen Gründe zu schaffen, mit uns zu arbeiten." Man müsse den Leuten zeigen, dass sie Selbstwirksamkeit haben und auch die Möglichkeit, mitzuwirken oder gehört zu werden, erläutert Sabine Engert.

Das dritte Projekt sind die Bürgergärten auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände. "Viele hier im Quartier haben das Bedürfnis, einen kleinen Garten zu haben. Insbesondere Personen, die aus einem Land kommen, wo es gängig ist, einen kleinen Nutzgarten zu haben", erklärt die Quartiersmanagerin. Ingolstadt insgesamt habe 50 Prozent Migrationsanteil, im Piusviertel sei dieser deutlich höher. Es gebe aber Schwerpunktgruppen, die Hofmann aufzählt: aus Osteuropa, der Türkei, Italien, Jugoslawien sowie - in den vergangenen Jahren hinzugekommen - arabischstämmige. Aber natürlich auch aus Deutschland.

Jetzt komme man in die Phase, in der man Bewohnerinnen und Bewohner begeistern und motivieren müsse, sagt Hofmann. "Es sind drei wirklich schöne Projekte", so Engert. "Und bei allen drei wird es ein sichtbares Ergebnis geben", ergänzt Hofmann. "Das macht stolz und hilft dabei, dass sich die Leute mit ihrem Quartier identifizieren."

Das Piusviertel kämpfe ja mit negativen Attributen. "Mit diesen Projekten kann man erreichen, dass das Quartier nicht immer nur Negativschlagzeilen schreibt, sondern sich bei den Ingolstädtern allmählich positiv verankert", so Engert. "Im wahrsten Sinne des Wortes einen kleinen Mosaikstein nach dem anderen setzen."

Wer sich für eines der drei Projekte interessiert und sich engagieren möchte, kann sich beim Stadtteiltreff Piusviertel (Telefon 0841 / 30545840) oder einem der zwei Partner - der GWG (Telefon 0841/ 95370) oder der Evangelischen Aussiedlerarbeit (Telefon 0841/ 8856380) - melden.

DIE MINOR WISSENSCHAFTSGESELLSCHAFT

Die soziale Ungerechtigkeit in deutschen Städten nimmt zu. In einzelnen Wohnquartieren - beispielsweise im Ingolstädter Piusviertel - prallen laut der Minor Wissenschaftsgesellschaft mbH Migration, ungleiche wirtschaftliche Entwicklung und demografischer Wandel aufeinander. Hier würde Konflikt- und Radikalisierungspotenzial schlummern. Minor möchte jetzt im Rahmen des Projekts PartQ untersuchen, ob und wie sich die Lage durch gemeinsame "Projekte der aufsuchenden politischen Bildung" verändert - mit dem Ziel, Teilhabe zu ermöglichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. PartQ ist in zwei Phasen unterteilt - in der ersten Staffel, die bis zum 30. September 2022 dauert, sind neben dem Piusviertel auch Stadtteile in Berlin, Braunschweig, Duisburg, Halle und Rostock Modellregionen. Minor begleitet die einzelnen Aktionen in den Regionen, die genehmigt und finanziell unterstützt werden, mit Evaluierungen und Analysen, um Erkenntnisse zu gewinnen. PartQ wird durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.

DK

Doris Mayr