Neuburg
"Von Neuburg bringt mich niemand weg"

Dora Spitzer feiert 90. Geburtstag Erinnerungen an die Flucht aus Ostpreußen

14.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Eine fröhliche Runde, wie man sieht: Dora Spitzer an ihrem 90. mit Tochter Brigitte, den beiden Enkelinnen Patricia und Denise sowie Sozialreferentin Eva Lanig (l.). - Foto: Heumann

Neuburg (DK) Mit 85 feierte sie Silvester noch beim Tanzen im Neuwirt. Als der Musikant zu einer speziellen Runde für die Senioren starten wollte, wünschte sie sich einen Twist - und legte ebensolchen auf den Bretterboden. Energie hat Dora Spitzer wie eine 70-Jährige, und um ihren Elan, ihren frechen Witz wie überhaupt so viel Lebensmut, ja Lust am Leben darf sie manch Junger heute beneiden. Gestern wurde Dora Spitzer 90.

Und dennoch spitzen zwischen all der Umtriebigkeit und einem manchmal schier abgründigen Humor vor allem die drei Jahre zwischen 1945 und 1948 auf. In ihre Erzählung mengen sich ungeschönte Naherfahrung und eine quasi lakonische Vonaußendraufsicht, "war halt so", scheinen Angst und Unerschrockenheit untrennbar verkettet.

Als die Ältere unter den fünf Geschwistern wuchs Dora Spitzer bei den Großeltern in einem kleinen Ort unweit Königsberg auf. Allein mit einer Freundin und deren zwei Kindern machte sie sich auf einen ungewissen Weg, "der Großvater schickte mich weg, damit mich die Russen nicht kriegen". Er selbst blieb zurück, "damit Du weißt, wo Du hinkannst nach dem Krieg; der ist bald vorbei". Mit dem baldigen Kriegsende hatte der Mann recht, zurück in die alte Heimat sollte Dora Spitzer nie mehr kommen, die Großeltern nie mehr sehen.

Übers Haff gelangte der Treck schließlich nach Dänemark. Davor aber gerieten die Frauen nochmals zwischen die Frontlinien, als längst die Russen nachrückten, deutsche Soldaten teils flohen, andere auch meinten, das Feuer noch erwidern zu müssen. Ganz trocken erzählt die Frau, wie sie, als auf einer Schiffspassage nur Mütter mit Kindern mitgenommen wurden, sie eins der beiden Kleinen ihrer Freundin kurzerhand schnappte, um mitzukommen. Und so typisch für die unerschrockene 18-Jährige: Die Freundin hatte eine Tasche in einem Transporter vergessen, Dora ging zurück, derweil die anderen weg waren und sie allein da stand. Und dann eine unvergessen gebliebene Nacht erlebt. War sie in dieser Situation an einen ehrlichen Kerl geraten, der ihr - allein - ein warmes Bett überließ, "ich schlief selig und merkte nicht, dass draußen Krieg war die Nacht".

Die drei Jahre schließlich in Dänemark waren kein Honiglecken. Aber auch die Aufnahme in Neuburg, wo sie 1948 durch glücklichen Umstand eintraf, war alles andere als herzlich. Was sich freilich rasch ändern sollte, denn Lagerleiter Paul fand Gefallen an der jungen Frau, vermittelte ihr rasch Arbeit bei dem damaligen Textilgeschäft Bachmann, vom Seminar schräg gegenüber.

Und dann gab es da noch einen Postler, der eigentlich nur ein paar Mal ein Päckchen von einer Tante im Emsland bringen musste, aber immer häufiger auch anderen Grund zum Kommen fand. 1951 wurde geheiratet, "ein Beamter, das war was Sicheres". Sicherheit und Glück währten bis 2008, als der Mann verstarb. Zwei Kinder waren dem Paar beschieden, der familiäre Zusammenhalt funktioniert bis heute aufs Beste. Alles Hauswirtschftliche und dann vor allem der Garten - da gibt es auch heute noch jede Menge zu tun. Vielleicht jetzt mit Neunzig doch zum Sohn nach Aschaffenburg ziehen? "Von Neuburg bringt mich niemand weg!"