Ingolstadt
Von Geistern, Spinnen und Rattenzähnen

Christine Shojaei Kawan beschäftigt sich mit Großstadtlegenden, wie sie auch in Ingolstadt kursieren

18.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:28 Uhr

Die Vogelspinne im Bananenkarton – sie ist wie die Artgenossin in der Yucca-Palme ein Hirngespinst. Auch über Geister, Brauereien und Cola gibt es solche modernen Sagen. Und über Restaurants. Fotomontage: DK

Ingolstadt (DK) Was haben die berühmte Spinne in der Yuccapalme und die kürzlich im DK erschienene Geschichte mit der „Beehren-Sie-uns-nicht-wieder-Karte“ zur Rechnung in zwei Ingolstädter Edelrestaurants gemeinsam? Es sind beides Urban Legends, Großstadtlegenden, die in verschiedenen Varianten in unterschiedlichen Städten erzählt werden. Christine Shojaei Kawan, Mitglied des Redaktionsteams der Enzyklopädie des Märchens bei der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, beschäftigt sich von Berufs wegen mit modernen Sagen.

DK-Redakteurin Ruth Stückle hat sich mit ihr über Urban Legends unterhalten.

 

Frau Shojaei-Kawan, Urban Legends. Was genau versteht man darunter?

Christine Shojaei-Kawan: Die sogenannten modernen oder auch zeitgenössischen Sagen sind Geschichten, die sich die Leute erzählen, die viel in Printmedien erscheinen, die als Gerüchte umgehen. Es sind meistens kurze Geschichten. In vielen davon kommen Ängste und Befürchtungen zum Ausdruck, zum Beispiel in der Geschichte von der Spinne in der Yuccapalme. Oder in Geschichten, die passieren können, wenn man mit dem Auto unterwegs ist. Da war die Legende mit dem Vanishing Hitchhiker, in der ein Geist bei einem einsteigt und hinterher wieder aus dem Auto entschwindet. Das ist sehr furchterregend und greift zurück auf traditionelle Sagen.

 

In Ingolstadt kursiert eine Geschichte von zwei Edelgastronomen, die Gästen mit der Rechnung eine Karte mit den Worten „Bitte beehren Sie uns nicht wieder“ überreichen sollen. Das klingt nach einer Urban Legend.

Shojaei-Kawan: Es hört sich so an. Da fallen mir spontan viele andere Geschichten über Restaurants ein, die seit vielen Jahren erzählt werden.

 

Schuhbeck, Lafer?

Shojaei-Kawan: Vor allem Geschichten mit Chinarestaurants. Von Rattenzähnen oder Rattenknochen im Essen, die sich bei Leuten in den Zähnen verhakt haben und der Zahnarzt dann feststellte, „Sie haben ja Rattenfleisch gegessen“. Dann gibt’s auch die Geschichte von Leuten, die mit ihrem Hund ins Restaurant kommen und der Hund wird zu Essen verarbeitet. Es gibt sagenhaft viele Geschichten über das Essen. Auch über Coca-Cola zirkulieren unheimlich viele Legenden. Wenn man Metall in ein Glas mit Cola legt, heißt es, dass sich das Metall über Nacht auflöst. Auch, dass sich Fleisch in Coca-Cola auflöst, ist so eine Geschichte. Es gibt auch Geschichten über Brauereien. In Amerika etwa wurde über die Corona-Brauerei erzählt, Arbeiter seien beim Abfüllen in die Fässer gefallen.

 

Wie entstehen denn solche Legenden?

Shojaei-Kawan: Ja, das hat noch keiner rausgefunden. Man kann sich einerseits vorstellen, dass sie aus Ängsten und Befürchtungen der Menschen entstehen. Andererseits kann auch sein, dass jemand jemandem einen Bären aufbinden will. Es ist Angstmacherei. Aber man hat nie festgestellt, wie die Legenden wirklich entstehen. Man muss auch sagen, dass viele dieser Geschichten schon alt sind, zum Beispiel dieser Vanishing Hitchhiker. Das ist natürlich eine neu aufgelegte Geistergeschichte.

 

Warum können sich solche Geschichten über einen so langen Zeitraum halten?

Shojaei-Kawan: Weil sie für die Leute interessant sind. Wenn die bei Ihnen in Ingolstadt etwas erzählen über ein bestimmtes Restaurant, dann glauben die Leute das, dann fühlen sie sich davon betroffen. Es ist ein Ausdruck des Misstrauens, vor allem ausländischen Restaurants gegenüber. Vielleicht jetzt nicht mehr so gravierend wie vor 30, 40 Jahren, weil diese Restaurants Teil unseres Alltags geworden sind, aber es sind Abgrenzungsbestrebungen. Es kann natürlich auch sein, dass persönliche Dinge reinspielen. Und die Geschichten sind ja auch sehr spannend zum Teil. Für die Leute, die sich nicht betroffen fühlen, sind sie oft auch witzig.

 

Wie kann man sich als Betroffener dagegen wehren? Was ist Ihr Rat, was man tun sollte, wenn man als Restaurantbesitzer in so eine Geschichte hineingerät?

Shojaei-Kawan: Es gibt Untersuchungen dazu, wie es wirkt, wenn man dementiert. In Frankreich haben sich Wirtschaftswissenschaftler eingehend mit dieser Frage befasst. Danach wirken Dementis oft verstärkend. Denn dann erfahren noch mehr Leute von diesen Gerüchten, und das hat oft einen gegenteiligen Effekt. Aber man kann hier keinen allgemeinen Rat geben. Als Betroffene würde ich mich mit einem Rechtsanwalt beraten. Bestimmte Sachen sind manchmal besser nicht zu dementieren. Es gab zum Beispiel einmal ein Gerücht über Isabelle Adjani. Es hieß, sie hätte Aids. Adjani ist in die Offensive gegangen und hat sich im Fernsehen präsentiert. Sie hat dabei eine sehr glaubwürdige Figur gemacht, aber trotzdem hat ihr Auftritt die Bekanntheit des Gerüchts gesteigert. Es ist schwer, mit solchen Gerüchten umzugehen.