Von Franz Liszt bis Charlie Chaplin

23.11.2008 | Stand 03.12.2020, 5:24 Uhr |

Aschenputtel im Rollstuhl: Die Compagnie Renaissance interpretierte die Cenerentola-Geschichte neu. - Fotos: Rössle

Ingolstadt (DK) Man spürte es schon ziemlich bald: Irgendetwas war anders in dieser 17. Musiknacht im Theater Ingolstadt. Irgendwie hatte man dieses jährliche Großereignis der Musik anders in Erinnerung. Vor allem üppiger: Mit mehr Gedränge und Trubel, mehr Kulinarik im Foyer, farbenprächtigeren Auftritten, schrilleren Programmnummern, schrägeren Ideen.

Diesmal ging es, angefangen von Gabriel Faurés "Fantasie für Flöte" um 17 Uhr – wunderbar virtuos gespielt von Katrin Fuss – bis hin zu den "schönsten Adagios" nach 24 Uhr vorgetragen vom Ensemble Schutzblech, ungewöhnlich zivilisiert zu. Selten musste man um seinen Sitzplatz bangen, gar nicht mal so oft wurde man während der Konzerthäppchen von anderen Kunstdarbietungen in benachbarten Sälen gestört. Vielleicht lag es ja an dem ziemlich seriösen Thema: "Romantisch" sollte es weit mehr als sieben Stunden lang im Theater zugehen. Da konzentrierten sich die Künstler auf ein schmales Spektrum ausschließlich klassischer Musik. Vor allem aber sind diesmal nach Schätzungen des Kulturamts nur knapp 1300 Besucher gekommen, einige tausend weniger als zu den Spitzenzeiten der Musiknächte. Vielleicht hat dieses jahrelang außergewöhnlich erfolgreiche Konzept in Ingolstadt sich ja überlebt. Zumindest aber sind die Feuerschutzbedingungen in den vergangenen Jahren so verschärft worden, dass eine Veranstaltung mit tausenden Besuchern in fast allen Sälen im Theater nicht mehr genehmigt würde. So wird es wahrscheinlich in den kommenden Jahren nur noch Musiknächte in Form des Akademiekonzerts des vergangenen Jahres geben: ein Event mit Überlänge, das 2008 durch seine programmatische Geschlossenheit überzeugen konnte.

Hochkarätiges Programm

Mit der Qualität der Künstler hatte der zögerlichere Zuspruch des Publikums heuer aber nichts zu tun. Selten waren die Beiträge durchweg so hochkarätig. Höhepunkt war der Auftritt der Pianistin Alice Sara Ott mit dem 1. Klavierkonzert von Franz Liszt, begleitet vom Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann im fast schon überbesetzten Festsaal. Alice Sara Ott entfesselte ein Feuerwerk der Virtuosität. Die immer schnelleren Tempi im Finalsatz schienen ihr Temperament und ihren Spielwitz geradezu noch mehr zu entfachen. Ott bedankte sich für den begeisterten Publikumszuspruch mit ihrem Paradestück als Zugabe, "La Campanella" von Liszt. Sie ging das "Glöckchen" am Anfang ungewöhnlich zügig, etwas nervös und mit starker Agogik an. Das tut dem Virtuosenreißer, dessen Effekt zum großen Teil auf einer ganz allmählichen Steigerung der Lautstärke und der Schnelligkeit beruht, nicht unbedingt gut. Aber ab Mitte des Stücks fand die junge Pianistin zu einer abgeklärteren Gangart. Insgesamt gelang ihr eine Darstellung des Stücks, die in ihrer Virtuosität und Perfektion, ihrem pianistischem Glanz nahezu konkurrenzlos sein dürfte.

Musik vom Klaviergroßmeister Franz Liszt gab es an diesem Abend noch weit mehr zu hören, unter anderem auch gespielt von der hoch talentierten Ingolstädter Pianistin Agnes Krumwiede. Hier wirkte der Romantiker allerdings deutlich anders. Krumwiede hatte sich bei ihrem Programm auf die eher düsteren Klangfantasien des Komponisten konzentriert. Wie dunkle Wellen tosen bei ihr die chromatischen Läufe, die trüben Harmonien kostet sie genießerisch in der h-Moll-Ballade aus. Bei "Isoldes Liebestod" gelingt ihr eine äußerst kluge Disposition der immer wieder orgiastisch hinausgezögerten Höhepunkte: Ein Rausch, der allerdings am Ende noch ein wenig enthemmter, zügelloser hätte sein können, wenn die Ingolstädterin sich selbst noch etwas mehr zutrauen würde.

Sicherer, vielleicht sogar ein bisschen zu sicher ging dagegen das Klavierduo Christine Schornsheim und Peter Kofler die Musik der Romantik an. Sie spielten auf einem Hammerflügel von Christian Then aus dem Jahr 1930. Das historische Instrument verleiht der Musik von Schumann, Mendelssohn und Schubert eine reizvolle Farbigkeit. Allerdings sind Melodiebögen schwerer zu spielen, und der Hammerflügel hat auch weniger Dynamik. Die Interpretationen wirkten so teilweise ein wenig akademisch.

Tragischer Liebestod

Viel dramatischer gelang die deutsche Erstaufführung der frühen Kantate "Teresa e Gianfaldoni" von Gaetano Donizetti, einer Geschichte um einen tragischen Liebestod. Besonders der Tenor Timothy Fallon sang mit hinreißend flexibler, hell timbrierter Stimme, opernhaft anschaulich. Aber auch der schwere Mezzo von Merit Ostermann und der balsamisch schöne Bassbariton Randal Turners (in "Canto XXXIII") hinterließen einen hervorragenden Eindruck: einer der überragenden Höhepunkte des Abends.

Ein Programmpunkt, der besonders viel Spaß machte, war der Beitrag von Teona Chkheidze (Violine) und Ani Takidze (Klavier) mit der A-Dur-Sonate von Johannes Brahms. Man wusste hier kaum, auf wen man sich mehr konzentrieren sollte: auf die äußerst intensiv und intelligent musizierende Geigerin aus dem Georgischen Kammerorchester oder die ungemein sinnlich jeden Ton erfühlende und erspürende georgische Pianistin. Chkheidze musizierte diese auch in Dur immer noch melancholische Sonate unprätentiös, melodisch, mit tadelloser Intonation und einem höchst differenzierten klanglichen Ausdrucksspektrum: Musik, die einem ununterbrochen Schauer der Ergriffenheit über den Rücken jagte.

Eher zum Lachen war dagegen die Filmvorführung von Charlie Chaplins "The Immigrant". Aljoscha Zimmermann begleitete den Stummfilm mit fast schon genialer Klangfantasie. Den Auswanderer Chaplin charakterisierte er auf dem schwankenden Schiff mit einem rhythmisch vertrackt dahin stolpernden Tango. Und als die Immigranten das Festland betraten, klang auf einmal ganz unheimlich, ohne patriotischen Überschwang die Nationalhymne an. Dieses Kinovergnügen hatte vermutlich wenig mit dem Generalthema des Abends zu tun, mit der Romantik. Hinreißend war es dennoch – genauso wie eigentlich die gesamte Musiknacht.

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