Eichstätt
Von der Farbenklitsche zum Weltkonzern

09.01.2011 | Stand 03.12.2020, 3:17 Uhr

Der Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Professor Werner Plumpe aus Frankfurt, sprach bei den "Probati Eystettenses” über Carl Duisberg. - Foto: buk

Eichstätt (buk) Fast zu jedem Jahresende hin darf man an der Katholischen Universität einen Gastvortrag der "Probati Eystettenses" erwarten, des Vereins der Absolventen der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, dem neben Historikern auch Politologen, Soziologen und Volkskundler angehören.

Zuletzt hörte man hier etwa Vorträge über Themen wie "Karl der Große und die Frauen", "Der Sturz Kaiser Heinrichs IV." oder "Die Konstantinische Wende". Mit ihrem jüngsten Gastvortrag betraten die "Probati" nun Neuland: Erstmals ließen sie sich auf ein Thema aus dem Bereich der Chemiegeschichte ein. Es ging um "Carl Duisberg (1861-1935) – Ein deutscher Industrieller". Als prominenter Referent sprach Professor Werner Plumpe von der Goethe-Universität Frankfurt, der Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD). Die Bestätigung dafür, dass der Vortrag würde stattfinden können, hatte "Probati"-Vorsitzender Dietmar Grypa denn auch erst am Vortag endgültig vom Referenten erhalten.
 
Plumpe skizzierte und beurteilte die Vita Duisbergs, dessen Name eng mit der Unternehmensgeschichte der Firma Bayer verbunden ist. Demnach studierte Duisberg in Göttingen Chemie, bevor er nach Jena wechselte und 1882 promovierte. Aufgrund von Entdeckungen im Bereich der Farbstoffe, die ihm Gewinne und Patente brachten, schaffte er bald den Aufstieg vom einfachen Chemiker zum Laborleiter, dann zum Prokuristen und faktischen Leiter von Forschung und Produktion der Farbenfabriken, deren Generaldirektor er 1912 wurde – in jener Zeit, als "aus der handwerklich geprägten Farbenklitsche in Wuppertal ein Weltkonzern mit zwei großen Standorten in Elberfeld und Leverkusen" wurde. Bald leitete er nicht nur den Betrieb zusammen mit Friedrich Bayer junior und Henry Theodor von Böttiger, sondern wurde auch der Schwiegersohn des Patriarchen Carl Rumpff.

Vor dem Ersten Weltkrieg war Duisberg, ausgestattet mit Geheimratstitel, preußischer Professorenwürde, Ehrendoktoraten und Ehrenämtern auf dem Zenith des gesellschaftlichen Ansehens; auch die deutsche chemische Industrie "stand auf einer nie wieder erreichten Höhe": Sie beherrschte die Weltmärkte, sammelte Nobelpreise und Patente und war hochprofitabel. Der Kriegsausbruch, auf den die Farbenfabriken nicht vorbereitet waren, bedeuteten für Duisberg daher eine Katastrophe, da wegen verhängter Exportverbote der Absatz zusammenbrach. Weil er die Kriegsschuld aber in Frankreich, Russland und England sah, stieg er schließlich in die Rüstung ein und machte sich für die Produktion von Giftgas-Kampfstoffen stark. Nach dem verlorenen Krieg brach er mit dem alten politischen System und mutierte "vom Sozialistenfresser der Kaiserzeit zum Befürworter der Sozialpartnerschaft und des neuen Tarifsystems": Er wurde zum "Vernunftrepublikaner, der sich mit Republik und gemäßigter Arbeiterbewegung arrangierte". Nur so schien ihm "die soziale Akzeptanz des Kapitalismus möglich und der Wiederaufstieg der deutschen Industrie realisierbar".

Im Jahr 1925 wurde er zum Vorsitzenden des Reichsverbands der Deutschen Industrie gewählt, der vor 1933 dem Nationalsozialismus gegenüber reserviert blieb, nach der Machtergreifung arrangierte er sich mit ihm. Die Dimensionen der Nazi-Verbrechen ahnte er nicht: "Ein gütiges Schicksal hat ihn davor bewahrt, sich damit auseinandersetzen zu müssen." Carl Duisberg, dessen Leben "ein permanenter Akt der Selbstdisziplinierung war", starb im März 1935 im Alter von 73 Jahren.