Von den Flitterwochen direkt in die Hölle - Überlebende des Anschlags in Istanbul berichten

29.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Istanbul (AFP) Sie versteckten sich in einem Schrank, pressten sich unter Check-In-Schalter und hatten nur eine quälende Frage im Kopf: Sollen wir hierbleiben oder davonrennen? Die Überlebenden des Selbstmordanschlags auf den Istanbuler Flughafen Atatürk erzählen nach der Bluttat vom Dienstagabend mit über 40 Toten von den Minuten der Angst, während die Attentäter noch um sich schossen, von Stoßgebeten und gefühlvollen Momenten.

Der irakischstämmige Journalist Steven Nabil wollte eigentlich nur mit seiner Frau von den Flitterwochen zurück nach New York. Doch sein Twitter-Konto füllte er nicht mit Grüßen in Vorfreude auf Zuhause, sondern mit Einträgen direkt aus der Hölle. "Habe Schüsse gehört, bin schnell zu ihr gerannt", lautet einer. Nabil war etwas zu essen holen, seine Frau wartete in einem Café. "Als ich die Treppen runterkam, war alles leer und der Terrorist hat auf uns gefeuert." 45 quälende Minuten lang versteckte sich das Paar dann in einem Wandschrank eines Friseursalons und betete, dass die Angreifer sie nicht finden würden. Dabei behielten sie die Tür fest im Blick. "Als die Schüsse ganz nah waren, habe ich sie umarmt und geküsst."

Zur selben Zeit versuchte der lettische Unternehmer Rihards Kalnins verzweifelt herauszufinden, was in den Hallen des Flughafens überhaupt vor sich ging. "Die Menschen rannten und schrien", erzählt er. "Ich wusste nicht was los war. Erst dachte ich, es gäbe einen Streit oder sowas." Dann sickerte allmählich durch, dass es sich bei dem Lärm um Explosionen und Schüsse handelte. "Und dann war es über die nächsten Stunden eigentlich nur möglich, über die sozialen Netzwerke etwas herauszufinden", sagt Kalnins in Erinnerung an den Dienstagabend. Ein paar hundert Meter entfernt versteckte er sich mit weiteren Menschen. "Ein Typ zeigte uns dann Videos auf seinem Telefon davon, was 200 Meter entfernt vor sich ging - das war surreal."

Die südafrikanische Universitätsangestellte Judy Favish entschied sich, zunächst nicht in Panik loszurennen, als der Flughafen angegriffen wurde. Stattdessen zwängte sie sich unter einen Check-In-Schalter, dicht gepresst an ein paar Mitglieder des Bodenpersonals. "Nach zehn Minuten sagte jemand, wir müssten weg und dann sind wir ins Untergeschoss gerannt", erzählt sie einem Fernsehsender. "Mit uns sind einige Verletzte gelaufen, sie haben geblutet und waren völlig erschüttert."

Oftah Mohamed Abdullah checkte gerade ihr Gepäck ein, als sie sah, wie einer der Attentäter plötzlich eine Waffe zog. "Dann hat er angefangen, auf Leute zu schießen", sagt sie. Ganz in Ruhe sei er dabei vorgegangen und "wie ein Prophet" durch die Halle gelaufen. "Und dann ist meine Schwester weggerannt, keine Ahnung in welche Richtung", erzählt sie, "ich bin auf dem Boden liegengeblieben, bis er fertig war".

Überwachungskameras fingen ebenfalls erschütternde Szenen ein. Darauf ist etwa einer der Attentäter zu sehen, wie er im Terminalgebäude zu Boden geht - offenbar getroffen vom Schuss eines Polizisten. Im Liegen zündet er dann seinen Sprengsatz. Bilder einer anderen Kamera zeigen einen riesigen Feuerball am Eingang des Terminals. Überall liegen Gepäck und Glasscherben auf dem blutbefleckten Boden. Die Südafrikanerin Favish erinnert sich, wie sie nach zwei Stunden des Ausharrens im Untergeschoss das Gebäude endlich verlassen konnte. "Wir sind durch den Flughafen gelaufen und haben überall Trümmer und Blut gesehen", sagt sie. "Es war einfach nur Chaos. Es war furchtbar."