Unsernherrn
Vom Vollzug einer "Vernunftehe"

Die Politiker wollten es, und auch die meisten Bürger sagten schnell ja

30.12.2011 | Stand 03.12.2020, 1:59 Uhr

Fünf ehemalige Unsernherrner Gemeinderäte wurden 1962 als beratende Stadträte (später: Ortssprecher) vereidigt: (v. l.) Hans Frey, Heinrich Miedel, Hans Höllrigl, Josef Wagner und Hans Leitner. Eduard Steurer und Hedwig Stieß rückten als Stadträte nach. - Foto: Stadt Ingolstadt

Unsernherrn (sic) Diese Ringseer, dieses aufstrebende Landvolk! Konnten es gar nicht mehr erwarten. Schanzer wollten sie werden. Unbedingt! Und das am besten gleich. Das Gasthaus Zur Eisenbahn drohte zu bersten an jenem Novemberabend des Jahres 1957. Unsernherrns Bürgermeister Martin Wöhrl hatte das Volk kaum begrüßt, da kam es schon zur Sache: „Wir wollen zur Stadt!“, tönte es ihm entgegen. Oder wie es der DK-Reporter ausdrückte: „Heiße Eisen wurden mit Bestimmtheit, aber in ruhiger Weise angefaßt.“

Im Gegensatz zu den Kothauern. Sie beliebten zwar auch Ingolstädter zu werden, artikulierten ihr Ansinnen jedoch eher grobschlächtig. 1957 kam es zu einer „tumultarischen Bürgerversammlung, die ihren Sinn völlig verfehlte“, wie in der Zeitung stand. „Im voll besetzten Lokal dauerte der Stimmenwirrwarr volle vier Stunden, bis Bürgermeister Wöhrl nach 24 Uhr gewaltsam Schluß machte.“

Zuvor waren die Gemeinderäte schon beim Thema Ausbau der Langgasse von den Bürgern niedergebrüllt worden. Als dann auch noch das Stichwort „Eingemeindung“ fiel, setzte sofort ein „völlig disziplinloses Volksgeschrei“ ein, wie der Reporter entsetzt berichtete, „dem aber zu entnehmen war, daß viele Einwohner in die Stadt eingemeindet werden wollen.“

Na immerhin. So viel Liebe auf einmal haben die Schanzer in ihrer Geschichte nicht oft erfahren. Kaum einer stellte sich der Eingemeindung in den Weg. Bayern befand sich damals mit vollem Tempo auf dem Weg in die Moderne, der gewaltige Strukturwandel erfasste den ländlichen Raum. Der Wunsch nach Verwaltungsabbau war ein Kennzeichen der Zeit, und die Aussicht, dereinst am wachsenden Wohlstand der Städte teilhaben zu dürfen, half dem Reformwillen im bäuerlichen Bayern auch auf die Sprünge. Sicher war ein ausgeprägtes dörfliches Eigenbewusstsein eine schöne Sache – ein Kanalsystem aber auch.

Die Politik half nach. Mit viel Geld. Der Ingolstädter Landrat Otto Stinglwagner sprach bedeutungsvoll von einem „Prüfstein für das Verhältnis zwischen der Stadt und dem Landkreis“, denn schließlich musste seine Behörde angemessen dafür entschädigt werden, dass auf einen Schlag 1000 Hektar Grund mit 6000 Bewohnern abhanden kamen. Also flossen binnen fünf Jahren insgesamt 1,1 Millionen Mark an „Ausfallvergütung“.

Stinglwagner wechselte 1966 vom Landratsamt in das Ingolstädter Rathaus. Als Oberbürgermeister musste er die große, weithin gefürchtete Gebietsreform 1972 vorbereiten. Dagegen wirkte die Eingemeindung Unsernherrns wie eine kinderleichte Generalprobe. 1961 lobte der Sozialdemokrat das Werk als „Schulbeispiel für Verwaltungsvereinfachung“. Sperriger drückte sich der damalige Ingolstädter OB aus: Josef Listl, seit Mai 1945 ein total lupenreiner Demokrat, erinnerte daran, dass die „Gebietsbereinigung“ bereits 1940 kurz vor dem Vollzug stand, dann aber leider der Krieg dazwischen kam.

Vor der glücklichen Vereinigung galt es noch, den Konflikt um die Hoheit über die Jesuitenäcker zu lösen. Die 120 Hektar avancierten zum Minenfeld: Manching brauchte das Land für die Expansion der Luftwaffe, die Stadt begehrte es als „eventuelles Industrieansiedlungsgebiet“, weil die Südpetrol an die Tür geklopft hatte. Das Innenministerium musste eingreifen. Nach einem Kompromiss ward alles gut. Mehr oder weniger.

Der DK sprach von einer „Vernunftehe“ und meldete nach deren Vollzug ergriffen: „Vielleicht war das der entscheidende Anstoß, daß in der Entwicklung der Stadt eine neue Phase anhebt und 1958 der alte Plan von einem „Groß-Ingolstadt“ Wirklichkeit zu werden beginnt.“

Ja, doch. Kann man so sagen.