Schrobenhausen
Vom Verlieren und Finden der Heimat - Joachim Siegl ist neuer Integrations- und Inklusionsreferent

Eine Aufgabe, die ihm sehr am Herzen liegt

12.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:23 Uhr
Vor dem türkisch-islamischen Kulturverein: Joachim Siegl ist der Integrations- und Inklusionsreferent im Stadtrat. −Foto: Ammer

Schrobenhausen - Auf Augenhöhe sprechen, gute Lösungen für alle finden, sich begegnen: Joachim Siegl (Grüne) ist Integrations- und Inklusionsreferent im Schrobenhausener Stadtrat. Eine Aufgabe, die ihm in weiten Teilen nicht neu ist - und die ihm umso mehr am Herzen liegt.

Siegls Großeltern stammten aus Böhmen, waren selbst Vertriebene. "Es war also immer schon Thema bei uns, was es heißt, die Heimat zu verlieren und eine neue zu finden." Ganze Stadtviertel in Schrobenhausen seien so entstanden. Schön fände Joachim Siegl eine Ausstellung zum Thema "Das Haus meines Großvaters" von ganz verschiedenen Schrobenhausenern - da würde sich zeigen, dass viele dieser Häuser nicht nur bis im Donaumoos stehen.

Der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit beschäftigt ihn schon lange: Als 1992 Neonazis in Mölln Häuser anzündeten, habe er mit Freunden überlegt: "Was können wir tun, dass es bei uns nicht so weit kommt?" Es entstand der "Ausländer-Inländer-Treff" mit Deutschkursen für türkische Frauen, aus dem sich 2002 der Verein "Offene Türen" gründete. Ein internationaler Treff für die Menschen aus über 60 Nationen, die in Schrobenhausen leben.

Wenn Joachim Siegl jetzt auf Schrobenhausen blickt, ist es aus seiner Sicht gelungen, rechte Gedanken in der Stadt in Grenzen zu halten. Immerhin gebe es keine Afd - "und für die Grundstimmung ist Fremdenfeindlichkeit nicht stilprägend". Im Gegenteil: In Schrobenhausen gebe es - auch dank der großen Industriebetriebe - viele Migranten und damit unzählige Begegnungen. Dass deshalb alles nur gut ist, heißt das aber noch lange nicht.

Wenn es um die Integration der Asylsuchenden geht, ist für Siegl das Hauptproblem, dass man den Menschen das Recht auf Arbeit verweigert. Denn Arbeit ist für ihn der Integrationsfaktor erster Güte.

Ein weiteres großes Thema ist die Unterbringung der Asylsuchenden. Die Zustände in der alten Grundschule empfindet er als "menschenunwürdig". Ein Notbehelf, der aber so dahinlaufe. "Das Ding gehört dringend weg - seit fünf Jahren eigentlich", ist seine Meinung zu der dezentralen Unterkunft. Doch was tun? Gegen die angedachte Möglichkeit, das Containerdorf, die zweite Asylunterkunft in der Stadt, aufzustocken, spricht sich Siegl vehement aus. Es müsse einen besseren Weg geben. Und er ist überzeugt: "Wo Leute miteinander reden, findet man eine gute Lösung." Sozialverträglich Probleme lösen und nicht neue schaffen, ist sein Ziel. Eines, an dem er im Fall der Unterkunft gemeinsam mit Bürgermeister und Landrat arbeitet.

Wohnraumaktivierung ist für Siegl nicht nur in diesem Bereich, sondern insgesamt ein Thema. Da geht es ihm nicht nur um die 26 Fehlbeleger in den Asylunterkünften, die eigentlich ausziehen dürften, weil ihr Status entsprechend ist, sondern insgesamt um Bedürftige. "Es gibt viele Lehrstände", so Siegl. Trotzdem finden Menschen keinen Wohnraum.

"Je mehr sich Menschen begegnen und das Fremde einen Namen kriegt, hört es auf, beängstigend zu sein", weiß Siegl. So ist es auch bei der Moschee. 2014 war er bei der Menschenkette um den Stadtwall für den Bau einer neuen Gebetsstätte der Schrobenhausener Muslime dabei. Er würde es als fatales Symbol sehen, ihnen die Chance zu nehmen, ein neues Gebets- und Kulturzentrum zu schaffen. "Es geht um Schrobenhausener", betont er. "Und das ist es, was zählt." Siegl freut sich über enge Kontakte in viele Richtungen - wenn es die aktuelle Lage zulässt, will er auch den Integrationsbeirat wieder beleben, um ein Organ zu schaffen, über das sich alle vertreten fühlen.

Wen überrascht es: Integrationsreferent im Stadtrat war für Joachim Siegl ein Wunschamt. "Mit Migration beschäftige ich mich seit 30 Jahren." Der neue Posten kostet ihn dennoch viel Zeit - oder vielleicht auch gerade deshalb. Denn: "Ich will nicht nur einen schmückenden Titel vor mir hertragen, sondern ihn ausfüllen." Und da kommt ja auch noch der Bereich Inklusion dazu, der ebenfalls zu seinem Referat im Stadtrat gehört. Es ist für ihn insgesamt ein neueres Thema als die Integration. Doch das stört den Grünen-Politiker nicht. "Ich bin in dem Bereich noch nicht so vernetzt, aber ich bin dran", erzählt er. Nur, dass es aktuell wegen Corona natürlich nicht so einfach ist, Leute zu treffen. Durch seinen Job als IT-Fachgruppenleiter habe er aber schon oft in den inklusiven Einrichtungen in der Region gearbeitet und sei hier ins Gespräch gekommen. Die Themen liegen ihm also nicht fern. Im Kreistag ist Siegl ebenfalls Inklusionsreferent. Hier, auf Kreisebene, möchte er beispielsweise einen runden Tisch einrichten. Auch Kreisaktionspläne fände er sinnvoll, um sich im Bereich Inklusion koordinierend einzuschalten. Zwar sei Sachaufwandsträger meist der Bezirk und nicht der Landkreis. Dennoch sollte dieser das Thema mit steuern. "Strukturen schaffen", das ist Siegl wichtig.

Ebenso wie das aufeinander Zugehen. Denn all diese Themen, für die er als Referent zuständig ist, sind keine Einbahnstraßen. "Wichtig ist, wie wir miteinander umgehen", betont er - und hier sieht er auch die Brücke zwischen Integration und Inklusion. Sich auf Augenhöhe begegnen. Denn zentral ist für Joachim Siegl eine Frage: "Wie sieht die Welt aus, in der wir leben wollen?"

SZ

Isabel Ammer