Vom rasenden Reporter zum englischen Gentleman

23.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:33 Uhr

Manfred Eibisch nimmt bei seinen Streifzügen als Reporter wenn es möglich ist auch Enkel Elias mit. - Foto: Benen

Pfaffenhofen (em) Von einem Talentscout zufällig als Model, Sänger oder Schauspieler entdeckt zu werden, ist für viele ein heimlicher Traum. Entsprechende Fernsehshows sind Quotenrenner, weil sie versprechen, Nobodys in VIPs zu verwandeln. Dass so etwas im täglichen Leben passiert, auf der Straße, beim Friseur, ist wohl wie ein Sechser im Lotto.

Umso größer war die Überraschung, als sich im Frühjahr bei den Proben der Erfolgsproduktion "Arsen und Spitzenhäubchen" des Pfaffenhofener Theaterspielkreises kurz vor der Premiere ein stiller Gast im Saal anschließend mit den Worten vorstellte: "Möchte jemand bei meiner neuesten Fernsehproduktion mitmachen? Ich drehe eine Doku zum 200. Geburtstag von Charles Darwin!"

"Der Bart muss ab!"

Plötzlich ist es ganz still im Probenraum, alle sind überrascht, doch dann siegt die Neugier: "Beim Film? Was muss ich da machen" Sofort ist der Mann vom Film umlagert. Viele wollen Einzelheiten erfahren, er schreibt die Namen auf, bald ist seine Liste voll. Die Rollen sind schnell vergeben: Alle wollen aus erster Hand erleben, wie ein Film für das Fernsehen produziert wird.

Und es stellt sich heraus: Der Regisseur Alexander Landsberger entdeckte den Theaterspielkreis Pfaffenhofen nicht zufällig. Er war selbst lange Jahre Mitglied der Laienspielgruppe.

"Wir sehen uns dann also in den Bavaria-Filmstudios, sie bekommen alle einen Anruf. Allerdings – Ihr Bart muss ab!", wendet sich Regisseur an "Sergeant Brophy". Manfred Eibisch steckt noch in dem Kostüm des älteren Polizisten mit Uniformjacke, Polizeimütze und Handschellen am Gürtel. Der langjährige Kirchenvorsteher bei der evangelischen Kirchengemeinde und Gastschauspieler im Theaterspielkreis soll eine wichtige Rolle in der Fernsehproduktion übernehmen: Der damals 66-Jährige soll den gealterten Charles Darwin (1809–1882) spielen.

Aber anstatt sich über die Ehre zu freuen, reagiert der PK-Reporter auf die Forderung nach einer Rasur unwirsch, streicht sich über seinen Bart und schüttelt den Kopf: "Nein, nein, der bleibt dran!"

Nach einigem Hin und Her willigt der Regisseur ein: "Ich werde mit der Maske reden." Beruhigt geht der frisch ernannte "Charles Darwin" wieder als Sergeant Brophy zurück zur Probe von "Arsen und Spitzenhäubchen" – mit seinem eigenen Bart.

Einige Tage später klingelt dann bei Manfred Eibisch das Telefon: Der Produktionsleiter spricht die ersten Drehtermine ab. "Am 6. Mai müssen Sie dann um 7.30 Uhr im Geiselgasteig sein. Und. . .", fügt er bedeutungsschwer hinzu, "bitte nicht mehr zum Friseur gehen – nur frisch rasiert müssen Sie sein!" Eibisch ist wenig begeistert. "Rasiert? Mit der Regie ist vereinbart, dass ich meinen Bart behalten kann!"

Am Telefon entsteht eine kurze Pause: "Na gut, ich rede mit der Maske."

Einige Tage später schlüpfen zehn "Filmschauspieler" aus Pfaffenhofen, meist Mitglieder des Theaterspielkreises, auch einige ihrer Familienangehörigen, in ihre Fernseh-Kostüme. Ganz im Stil des 19. Jahrhunderts mit Zylinder, Gehrock, Kneifer und Spazierstock verwandeln sich die Männer in englische Gentlemans. Die Frauen bekommen große Hüte, fantasievolle Fächer, im Brustbereich eng anliegende Kleider mit weiten Röcken und kleine Täschchen – ganz ladylike, wie in wohlhabenden englischen Kreisen um 1860 üblich. Und kaum in den historischen Kostümen, sprechen und bewegen sich alle wie bei "My Fair Lady". Doch nicht alle Kostüme passen auf Anhieb.

Die Glatze passt gut

Die Kostümbildnerin steckt hier etwas ab, öffnet dort eine Naht – bis sie zufrieden ist. Da öffnet sich die Tür und die Maskenbildnerin stellt sich vor: "Ich bin die Maja, und ich werde sie schminken." Bei Darwin-Senior-Darsteller Eibisch wird der wallende weiße Filmbart angehalten, ein passender Oberlippenbart und Augenbrauen aus einer Kiste herausgesucht und die verschiedenen Varianten begutachtet. "Ihre Glatze passt sehr gut zum Darwin. Kennen Sie das Bild von ihm aus dem Internet? Sie sind genau der Typ." Noch siezen sie die 30-Jährige und der Rentner aus Pfaffenhofen. Sein eigener Bart wird nicht angesprochen. Hat Maskenbildnerin Maja ihn nicht gesehen? Eibisch schöpft Hoffnung, dass die Worte von Regisseur und Produktionsleiter entsprechendes Gewicht hatten.

Der erste Drehtag Anfang Mai. Pünktlich um 7.30 Uhr haben sich die ersten Darsteller im Studio auf dem Bavaria-Gelände in München eingefunden – die Garderobiere wartet schon. Schnell ins Kostüm, dann zur Maske. Draußen ist es angenehm mild - doch das soll sich bald ändern, die Scheinwerfer heizen mächtig ein.

Mit Tupfer und Wattebäuchen werden kleine Schweißtropfen beseitigt, mit Puder, Farben und Chemikalien werden sowohl die Frauen als auch die Männer mit fest haftendem Make-up versehen. Vor der Kamera werden kräftige Farben gewünscht, sonst sehen die Darsteller im Film zu blass aus.

Maja lockert die Stimmung auf: "Eigentlich können wir uns doch duzen – wir duzen uns alle hier," schlägt sie dem bei der ungewohnten Behandlung mit Pinsel, Lippenstift und Lidschatten etwas angespannten zweifachen Großvater vor. Stummes Nicken. Was soll er auch sonst machen? Sitzt er doch zurückgelehnt im Schminksessel und muss stillhalten. Gerade wird Eibischs Gesicht mit einem dicken Pinsel gepudert, er kann sich kaum bewegen. Maja kommt ihm ganz nah, er kann ihr Parfüm riechen. Sie begutachtet genau ihr Werk. Er schaut ihr bewundernd in die dunklen Augen. Blinzelt sie ihm zu?

Der Darwin-Darsteller wird unruhig, er rutscht auf dem Stuhl hin und her. Ein silberner Schatten blitzt auf. Ein Surren. Manfred Eibisch schwant nichts gutes. Da passiert es auch schon: Maja setzt einen Elektrorasierer am Kinn an. "Der Bart muss ab!", sagt sie in einem Ton, der keine Widerrede duldend. Eibisch probiert es trotzdem: "Aber der Produktionsleiter hat doch gesagt . . ."

Doch in der Maske hat Maja eindeutig das Sagen: "Sonst hält der Filmbart nicht." Die Diskussion ist beendet. Ein trauriger alter Darwin sinkt ihn den Friseurstuhl zurück und schließt die Augen – jetzt will gar nichts mehr sehen, schon gar nicht die hübsche, aber doch so grausame Maja. Die attraktive junge Frau mit den dunklen Rehaugen klebt hier, hält dort ein Bartteil an. Und summt leise vor sich hin.

Als Manfred Eibisch die Augen dann wieder öffnet, blickt er im Schminkspiegel einem Greis entgegen. Der abrasierte Bart ist auf wundersame Weise zu einer grauen, haarigen, wallenden Pracht mutiert mit passenden Koteletten. Aus dem immer aktiven Senior im sportlichen Freizeitlook, der oft mit seinen Enkelkindern unterwegs ist und für die PK-Redaktion als "rasender Reporter" und Fotograf in Rufbereitschaft steht, ist unter Majas geschickten Händen ein Gentleman mit Zylinder im Stil eines englischen Landadeligen geworden.

Maja kommt mit Puder

"Na, wie gefällt Dir Dein neuer Bart" fragt Maja Beifall heischend. Eibisch, immer mehr in seiner Rolle als Charles Darwin, kann nur noch ergeben nicken. Während der Filmaufnahmen selbst kommt Maja immer wieder auf ihn zu, pudert hier, cremt dort und lobt seinen neuen tollen Bart. Auch mit dem Kameramann freundet sich der Pfaffenhofener schnell an – bis zu dem Augenblick, als dieser durch die Linse ein einzelnes Haar auf dem sonst kahlen Darwin-Kopf bemerkt. Wieder setzt Maja den surrenden Bartschneider an. Als die Maske nach den erfolgreichen Dreharbeiten am Abend wieder abgenommen wird, merkt Eibisch, dass der nette Kameramann ihn nicht mehr erkennt. "Nur gut, dass mein Bart wieder nachwächst, zumindest bis zum nächsten Film!" Ob dann die hübsche Maja wieder die Maske macht"

An einem Drehtag im Botanischen Garten muss Manfred Eibisch auf seinen Einsatz etwas warten. Er geht die langen Gänge der Forschungslabors im dortigen Zentralgebäude entlang – "Schauspielern heißt wohl warten", stellt er fest. Da steht eine Tür zu einem Forschungslabor offen. Eine Frau sitzt an einem Mikroskop und arbeitet. Dann schaut sie hoch, fassungsloses Erstaunen zeichnet sich in ihrem Gesicht ab: "Dar. . ., Darwin, Charles Darwin – aber wo kommen Sie denn her"

Die sechs Folgen über Charles Darwin sind ab Dienstag, 27. Oktober, immer dienstags um 22.45 Uhr auf BR-alpha zu sehen.