Ingolstadt
Vom Gutmenschentum

Christian Ehring bei den Kabaretttagen

18.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:59 Uhr
Kampf gegen die Scheinmoral: Christian Ehring in der Ingolstädter Eventhalle. −Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Wegen ihm fühlte sich Erdogan bemüßigt, den deutschen Botschafter einzubestellen. Wegen ihm haben wir uns in der Eventhalle schiefgelacht. Christian Ehring bei den Kabaretttagen. - Da sieht man mal den Unterschied. Wie borniert und vernagelt die anderen, wie offen, locker und liberal wir hier doch alle sind.

Der gerade mal volljährig gewordene Sohn macht sein soziales Jahr in einem Slum. Nicht aus Überzeugung, sondern weil es im Lebenslauf Eindruck macht. "Mein Einfamilienhaus! Mein SUV! Mein Slum!" - Damit kann man auch im Bekanntenkreis punkten. Und weil dadurch jetzt die Einliegerwohnung frei wird, holen wir uns einen Flüchtling. Die sind gerade im Angebot. Da muss man zugreifen. Andererseits: Es muss ja nicht gleich und sofort sein. "Die laufen uns ja nicht weg!" sagt Ehnert und grinst dabei.

Wie ist der Mann doch schlitzohrig, hinterhältig, perfide, ätzend und bisweilen auch richtig böse, wenn er freundlich lächelnd und im Plauderton über Willkommenskultur, Gutmenschentum, Gewissensberuhigung, Ambivalenz und Doppelmoral räsoniert, uns scheinbar spontan mal eben über Vor- und Nachteile des Landlebens und die Rückbildungsgymnastik als seinen jüngst auserkorenen Lieblingssport berichtet und doch nur vor allem eines will, nämlich uns die eigene Verlogenheit vorhalten.

Opfer-Täter-Umkehr? Auch das ist ein Thema. Da bietet man jemandem, der gerade eben dem Tod entronnen ist, einen kostenlosen Yogakurs an, und der greift nicht zu? Da lädt man den Mann aus Eritrea zu einem gemeinsamen Afrikaurlaub ein, und der lehnt ab? Wie undankbar! Dass jener nur den kleinen Rest an Würde, den er noch hat, bewahren will, darauf kommt der großzügige Helfer nicht. Von Bevormundung und Zwang hat er genug. Ein Flüchtling ist keine Ware, über die man nach Belieben bestimmen kann.

Je weiter das Programm und dessen Rahmenhandlung voranschreiten, desto deutlicher wird Ehrings Absicht, eine Lanze zu brechen für die, die es selbst nicht können, weil sie sprachlos, traumatisiert, heimatlos und hierzulande allzu oft unerwünscht sind. Es macht riesigen Spaß, über seine lockeren Sprüche zu lachen. Wenn er über seinen Sohn und dessen Aufenthalt im Slum sagt, ein Wohlstandskrüppel treffe auf Waisenkinder, und er empfinde vollstes Mitleid mit den Kleinen, dann muss man natürlich lachen, spürt aber auch den Ernst dahinter.

Im Endeffekt ist sein Programm ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit mit Hilfe des Humors, der Satire und des Witzes. Und ein Aufruf an all diejenigen, die denken, mit dem Kauf von Fair-Trade-Produkten allein habe man sein Hilfskonto bereits ausgereizt und seinen moralischen Ablassbrief erworben. Selten macht es so viel Spaß, den eigenen Spiegel vor die Nase gehalten zu bekommen. - Gut gegeben, Christian Ehring.

Karl Leitner