Neuburg
Vom großen Glück in einer stillen Welt

11.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:04 Uhr

Frisch verheiratet und überglücklich: Die taubstumme Karin Wagner und ihr Mann Christian haben noch viele Pläne. - Foto: Stengel

Neuburg (DK) Ihre Hände sind wie ein Orchester, ihre Finger wie ein furioses Tutti, wenn Karin Wagner "vom bislang schönsten Tag ihres Lebens" erzählt: ihrer Hochzeit am 30. Dezember vergangenen Jahres.

Da hat sie ihrem Christian auf dem Neuburger Standesamt das Jawort gegeben. Ihre beste Freundin Carolin dolmetschte die Trauungszeremonie für sie. In Gebärdensprache. Denn Karin Wagner ist taubstumm seit sie drei Jahre alt ist.

Erinnerungen an jenen Tag, an dem ihr Gehör plötzlich fort war, hätte sie keine mehr. Und auch nicht an die Zeit zuvor, lässt sie durch ihren Mann übersetzen. Er wurde mit einem Gehörschaden geboren. Bis er viereinhalb Jahre alt war, glaubte Christian Wagner, dass die Welt still und dumpf sei. Weil er sich im Kindergarten zumeist zurückzog, wurde man auf sein Leiden aufmerksam. Seither ist er auf starke Hörgeräte angewiesen.

Obwohl sich die beiden schon länger zuvor gekannt hatten, sprang der berühmte Funke vor zwei Jahren auf einer Party in Ingolstadt über. Wenn sie sich nicht sehen konnten, turtelten sie via Internet. Und eines Tages habe ihr der Christian per Chat dann einen Heiratsantrag gemacht. Karin Wagners Augen funkeln und sie nickt heftig, ihre Hände und das ganze Gesicht erzählen: Sofort habe sie ihm "Ja" zurückgeschrieben.

Mit einem Leben fast ohne Töne hat sich das Paar aus Neuburg inzwischen arrangiert. Beide besuchten von Kindesbeinen an Gehörlosenschulen oder -Internate, lernten die Kommunikation per Gebärdensprache und natürlich auch einen Beruf. Die 33-Jährige ist Näherin und zurzeit als Produktionshelferin in den Werkstätten der Lebenshilfe in Neuburg beschäftigt. Gemeinsam meistern sie auch einen Schicksalsschlag, der den 37-Jährigen vor knapp drei Jahren heimsuchte: Wegen eines akuten Bandscheibenvorfalls musste Christian seinen Job als Lüftungsbauer an den Nagel hängen, war 18 Monate krank, ließ sich umschulen und startet im April wieder durch mit einer körperschonenderen Tätigkeit in Neustadt.

Ihr Leben ohne Laute bereitet Karin Wagner keine Probleme: Sicher, wenn sie einkaufen geht, müsse sie eben auf die Dinge, die sie braucht deuten und notfalls auch den kleinen Block und den Stift zücken, den sie immer dabei hat, um Anderen das aufzuschreiben, was sie möchte. Dass das manchmal etwas länger dauert, verstünden die meisten. "Aber es gibt auch Leute, die haben keine Geduld. Sie lassen uns einfach stehen. Doch wir kämpfen für uns und was die anderen machen, ist uns eigentlich egal", sagt das verliebte Paar und schaut sich dabei ganz tief in die Augen. Nur in außergewöhnlichen Situationen seien die beiden auf die Hilfe eines Dolmetschers angewiesen: etwa dann, wenn es darum geht, kompliziertes Juristendeutsch zu übersetzen, oder bei tiefer gehenden Fachgesprächen mit dem Arzt.

Grelle weiße Blitze, die aus einem ladegerätgroßen Empfänger kommen, symbolisieren in der gemütlichen Dachgeschosswohnung, ob die Türklingel läutet, das Fax gerade Papier ausspuckt oder – was glücklicherweise noch nicht der Fall gewesen war – Gefahr durch Hochwasser oder Feuer droht. Mehr Spezialausrüstung bedürfe eine Wohnung für Taubstumme nicht.

Viel Zeit verbringt das junge Ehepaar ohnehin außer Haus, unternimmt etwas mit den vielen Bekannten, die größtenteils auch gehörlos sind. "In München", schwärmt Christian Wagner, "gibt es sogar ein Kino mit Untertiteln und auch im Gehörlosentheater sind wir schon gewesen." Der 37-Jährige liebt Wandern und Radfahren, auch seine Frau ist ein großer Naturfan.

Ihre Lieblingspflanze ist Lavendel, ihre Lieblingslektüre sind mysteriöse Vampirromane, wie sie lächelnd gesteht. Und Musik, so signalisiert sie gestenreich, könne sie durch die Vibrationen fühlen. Wenn Menschen klar und deutlich sprechen, ist es für die zarte Frau ein leichtes, die Worte von den Lippen abzulesen. Dabei witzelt Karin gleich: Bei Bartträgern habe sie da halt keine Chance.

Die Gebärdensprache mit ihren "Millionen Begriffen" möchte Karin Wagner auch gerne anderen Interessierten lehren. Diese Art der Verständigung basiere bei weitem nicht nur auf der Sprache der Hände, sondern hänge eng zusammen mit Mimik, Gestik und Gesichtsausdruck. Und im Gegensatz zur gesprochenen Sprache sei sie eine Form des Kommunizierens, mit der man sich weltweit und ohne große Verständigungsschwierigkeiten mit Gehörlosen unterhalten könne.

Die Wagners haben ein Auto, beide besitzen den Führerschein. Das fehlende Gehör kompensiert die 33-Jährige dabei auf ihre Weise: "Ich schaue einfach mehr. Und dann ersetzen die Augen auch ein bisschen das Gehör", meint sie selbstbewusst.