Ingolstadt
Vom Grabenkoffer in die Kasematte

Eine Führung durch die Fronte Rechberg zeigt viele Details der alten Ingolstädter Festungsanlagen

13.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:49 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Herzogssitz, Universitätsstadt und Landesfestung: Wer die alte Schanz kennenlernen will, hat ab jetzt wieder viele Gelegenheiten dazu. Mit der wärmeren Jahreszeit hat die Zeit der Stadtführungen begonnen – und da gehört eine Begehung der Fronte Rechberg dazu.

Es war das teuerste Bauprojekt König Ludwigs I.: 23 Millionen Gulden kostete der Bau der Fronte Rechberg in den Jahren 1828 bis 1848, auch für heutige Verhältnisse eine enorme Geldsumme. „Um sich das mal vorzustellen: Auf dem Oktoberfest hat man damals für einen Gulden zwölf Maß Bier bekommen“, bringt Helmut Fertsch einen durchaus anschaulichen Vergleich. Zwischen Rechberg- und Heydeckstraße liegen die zahlreichen noch erhaltenen Bestandteile der Fronte Rechberg. Elf dieser Fronten sollten einst die Schanz schützen – Rechberg ist die einzige, die zumindest noch zur Hälfte (mit Einschränkungen) original erhalten ist.

Anhand von Lageplänen erläutert Fertsch an diesem Samstagnachmittag den Aufbau der Ingolstädter Festung. „Die Fronte Rechberg gehört zum fünften von insgesamt sieben Verteidigungsringen, die im Lauf der Geschichte errichtet wurden“, erklärt er. Der Grund für die Erweiterungen: Die Stadt wuchs im Laufe der Jahrhunderte, wie auch die Artillerie immer größere Reichweiten erzielte. „Beim Baubeginn von Rechberg hat die Artillerie 500 Meter weit geschossen, bei der Fertigstellung 3500 Meter“, erzählt Fertsch. Die Festungsbauer hatten daher fast immer das Nachsehen: Waren sie fertig, war ihr Bau von der Technik schon überholt. Zum Glück für die Ingolstädter musste die Festung, die im Ernstfall für 12 000 Soldaten ausgelegt war, sich nie in der Praxis bewähren: Sie wurde nie angegriffen.

Erste Station der Führung ist die Rückseite des südlichen Rechberghauses, das wie sein Schwesterhaus auf der anderen Straßenseite auf der früheren Kaponniere steht. Darunter versteht man ein frei stehendes Gebäude in einem Festungsgraben, auch Grabenkoffer genannt. Der obere Teil wurde 1923 beim Bau der Rechberg-straße abgetragen. Die Bewohner der Häuser nutzen den erstaunlich tiefen Graben für ihre Kleingärten und als stadtnahes Erholungsgebiet: Wo früher scharf geschossen werden sollte, wachsen heute Tomaten und Radieschen. Wie Fertsch erläutert, hat der Graben an dieser Stelle noch das ursprüngliche Niveau. „Hinter dem Graben liegt die Hauptumwallung, teilweise bis zu acht Meter hoch und drei Meter dick“, erklärt Fertsch.

Im Laufe der Führung erläutert er auch die vielen Fachbegriffe aus dem Französischen, ohne die ein Verständnis des Aufbaus einer Fronte nicht möglich ist. Vereinfacht ausgedrückt war es entscheidend, immer möglichst viel Gelände unter Beschuss nehmen zu können – auch für den Fall eines feindlichen Durchbruchs. Gegenüber der Kaponniere liegt die V-förmige Kontregarde, womit allgemein das Außenwerk einer Festung bezeichnet wird. Im Laufe der Jahre ist dort eine wahre Idylle entstanden, die in Ingolstadt wohl ihresgleichen sucht. Umrahmt von hohen Ziegelsteinmauern, hat der Verein Wasserrose dort seinen Sitz.

Der militärische Charakter der ganzen Anlage wird auf dem Weg zum Reduit der Fronte (es gab davon zwei) vor Augen geführt. Deutlich zu sehen sind heute noch Rauchabzugslöcher und Schießscharten, die Traversen (quer zum Wall stehende Aufschüttungen als Kugelschutz), ein vom Festungsverein restauriertes Traversgebäude und Flankenbatterien, also Stellungen für die Kanonen, erhalten.

Ein Abstecher über die Hey-deckstraße und man ist beim Außentor des Kavaliers Heydeck, früher die einzige Möglichkeit, die Stadt nördlich der Donau Richtung Osten zu verlassen und heute Sitz der Freimaurer. Zurück auf der anderen Seite der Fronte, führt ein unscheinbarer, verwilderter Nebeneingang in den zugänglichen Teil einer Poterne, allgemein ein überbauter, gedeckter Durchgang in einer Festung. Die Soldaten benutzten früher diese sichere Möglichkeit, um einen Ausfall zu wagen oder Anlagen vor dem Wall zu erreichen. Die Poterne in Ingolstadt führt noch heute unter der Rechbergstraße hindurch. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Poterne als Luftschutzbunker genutzt. Am 1. März 1945 traf bei einem Luftangriff eine Bombe genau den Teil, auf dem keine Erde lag, was den Tod vieler Menschen zur Folge hatte.

Immer wieder ein ganz besonderes Erlebnis ist ein Besuch einer der vielen Ingolstädter Kasematten. In der Fronte Rechberg, wo teilweise noch die originalen Entwässerungsgräben, die Künetten, zu sehen sind, reiht sich eines dieser Tonnengewölbe ans andere. „Früher konnte man durch die Kasematten rund um die Stadt von der Donau zur Donau gehen“, berichtet Fertsch. Einige dieser Gewölbe wurden im 19. Jahrhundert als Wohnraum für die Soldaten genutzt. Kälte und Feuchtigkeit führten allerdings zu einem hohen Krankenstand. Deshalb wurden die Friedenskasernen am Omnibusbahnhof gebaut, die der Unterkunft in Friedenszeiten dienten.

Die friedliche Nutzung der Festungsbauten begann um das Jahr 1850. So wurden Teile als Wohnungen für das Militär und für die Arbeiter der königlich-bayerischen Geschützgießerei eingesetzt. Für sie wollte man ab 1910 bessere Zugänge durch den Festungsring schaffen. Stadtbaurat Franz Schwäbl ließ deshalb den Graben füllen, die heutige Rechbergstraße entstand.