Ingolstadt
Voller Einsatz fürs Christkind

An Weihnachten geht buchstäblich die (Paket-)Post ab – Willi Volkert aus Zuchering liefert bis zu 300 Sendungen am Tag

22.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:23 Uhr

Nur nicht den Kopf verlieren, heißt es für Paketzusteller wie den Ingolstädter Postbeamten Willi Volkert, wenn es vor Weihnachten heiß hergeht (Fotos rechts). An hektischen Tagen müssen er und seine Kollegen jeweils bis zu 300 Sendungen am Tag verteilen. Auch die Retouren von Kunden machen den Paketdiensten zu schaffen - allein Volkert muss pro Tour bis zu drei solcher Rollwagen (l. o.) Herr werden - Fotos: Richter

Ingolstadt (DK) Montagfrüh, es ist kurz nach 6.45 Uhr. Draußen ist es feuchtkalt, hier und dort zieht jemand seinen Rollo nach oben. Die Straßen und die Stadt präsentieren sich noch weitgehend ruhig, aber nicht mehr überall. Am Ingolstädter Hauptbahnhof herrscht bereits rege Betriebsamkeit in der Halle, für Berufspendler hat der Tag begonnen. Wie auch gleich gegenüber bei der Hauptpost oder vielmehr in deren Hinterhof. Die Paketzusteller haben ihre gelben Fahrzeuge an den Rolltoren auf der Südseite des Gebäudes angedockt, wie hungrige Mäuler stehen die Ladetüren hinten offen. In der Halle rüsten sich die Beschäftigten für den vorweihnachtlichen Wahnsinn. Jetzt, wo Heiligabend so kurz bevorsteht, will die Flut der Sendungen schier nicht enden. Von wegen „staade Zeit“ – da geht die Post erst richtig ab!

Mittendrin steht Wilhelm Volkert, den alle nur als Willi kennen – drin bei den Kollegen wie draußen in seinem Bezirk im Stadtteil Zuchering, wo der Postbeamte auch wohnt. Seit 1971 ist er im Dienst, erst als Briefzusteller in Ingolstadt und später in München, seit 1986 fährt er Pakete in der Schanz aus. „Sonst sind es im Durchschnitt 140 Sendungen am Tag, jetzt vor Weihnachten kann es schon mal das Doppelte sein. Manchmal über 300“, sagt er.

300 Pakete und mehr, eintönig grau oder weihnachtlich bunt dekoriert, kleine wie große, manchmal leicht wie eine Feder, als wären sie ohne Inhalt, manchmal über einen halben Zentner schwer. Exakt 31,5 Kilogramm sind das Limit für die Zusteller. „Da ist dann oft Katzenstreu drin oder Brennholz. Manchmal auch Lebensmittel wie Kartoffel und Gewürze. Oder Weinflaschen“, sagt Volkert. Er hat schon sperrige Möbelstücke geliefert oder Autostoßstangen. Und selbst Urnen samt der Asche von Verstorbenen. „Die Leute lassen sich inzwischen fast alles schicken.“

Das Internet hat die Arbeit des 60-Jährigen und seiner Kollegen maßgeblich verändert. Nach verregneten Wochenenden etwa geht es für sie deutlich hektischer zu. „Da hocken die Leute daheim auf dem Sofa, langweilen sich und bestellen das ganze Sortiment rauf und runter“, scherzt ein Zusteller, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Und wir müssen’s dann ausbaden.“ Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere betrachtet er durchweg positiv: „Dieser Internethandel sichert aber unsere Arbeitsplätze“, weiß er.

Das sieht auch Willi Volkert so. Manchmal trauert er zwar der guten alten Zeit nach, die angeblich gemütlicher war, aber unter dem Strich liebt er seine Arbeit. „Ich wollte schon als Schüler Postler werden“, erzählt er. „Das war mein Traumberuf.“ Er hat es nicht bereut, weil er es mag, Menschen zu treffen. „Wenn du draußen bei den Leuten bist, vergisst du schnell den ganzen Stress vorher.“

Denn erst einmal gilt es, das Auto vollzupacken. Rollwagen für Rollwagen mit allerlei Sendungen schiebt sich in die Halle, Volkert teilt sich den vorsortierten Inhalt heute mit seinem Kollegen Stefan Krug. Die Pakete wandern zwischen den beiden hin und her und verschwinden rasch im schwarzen Schlund der Transporter. „Wichtig ist, die Ladung richtig zu ordnen“, sagt der 60-Jährige. „Die Packerl, die ich draußen als erste brauche, müssen griffbereit liegen.“ Bei ihm sind es Zustellungen für den Möbelhof, den Globus-Baumarkt und das Flüchtlingsheim in der Max-Immelmann-Kaserne. „Da werde ich bei den ersten drei Kunden meistens schon eine Menge los.“ Ein Handscanner gilt als wichtigstes Werkzeug der Postler. Mit dem Lesegerät erfassen sie jede einzelne Sendung und markieren sie später als „zugestellt“, sobald der Kunde dafür unterschrieben hat. Per Funk geht der Status sofort an die Zentrale.

Es ist kurz nach 8 Uhr, als Willi Volkert seine Rolltorbucht an der Hauptpost schließt und ins Führerhaus steigt. „Auf geht's“, sagt er und schon steuert er sein Fahrzeug flott über die B 13 in Richtung Zuchering. Obwohl es nur noch drei Tage bis Heiligabend sind, meint es dieser Montag gnädig mit ihm – „nur“ 180 Sendungen stapeln sich hinter seinem Sitz im Laderaum, es könnte schlimmer sein – vergangenen Freitag waren es gut 100 mehr. Volkert hat seine Route optimiert. So geht es nur scheinbar unkoordiniert kreuz und quer durch den Ingolstädter Stadtteil, von der Oberstimmer Straße in den Wiesenrain und wieder zurück, weiter in die Karlskroner Straße, rechts ab zur Josef-Eder-Straße, irgendwann an der Schule vorbei, wo der Hausmeister schon wartet, bis hinein in kleinste Gassen. Denn der vermeintliche Zickzackkurs ist der optimale Weg, das hat der 60-Jährige lange genug getestet. „Packlpost!“, ruft er in die Gegensprechanlagen, nachdem er geklingelt hat. „DHL“, wie der Paketzustelldienst der Post offiziell heißt, sagt er nie. Klingt auch irgendwie weniger gemütlich.

Kaum irgendeine Adresse, wo der erfahrene Zusteller eine Benachrichtigung hinterlässt, an diesem Montag passiert das genau einmal. Sein System verrät er gern: „Ich habe mit vielen Leuten eine Ablagevereinbarung. Da darf ich das Packerl in der Garage, auf der Terrasse oder hinter dem Haus deponieren.“ Mitunter auch in der Papiertonne oder unter einem Holzstapel. Ein Gewinn für alle: Volkert hat seinen Zustellauftrag erledigt, der Kunde muss nicht aufs Postamt in der Windener Straße, um sein Paket abzuholen.

„Servus, Willi“, „Griasde, Willi“, „Guten Morgen, Willi“ – so oder ähnlich vertraut schallt es ihm an allen Ecken Zucherings entgegen. Kein Zweifel, er ist bekannt wie ein bunter Hund, der Zusteller mit dem flotten Schritt. Sein Alter – „im März werd’ ich 61“ – ist ihm nicht anzumerken, so flink eilt er von Haus zu Haus. Rein ins Auto, raus aus dem Auto, manchmal mit gleich drei großen Paketen übereinander balanciert er seine Lieferungen zum Kunden.

An einer der Adressen bleibt sein Klingeln unbeantwortet, keiner öffnet. Aber läuft da nicht das Gebläse des Dunstabzugs? Volkert achtet aufmerksam auf solche Dinge, klopft ans Küchenfenster, und tatsächlich öffnet eine Frau. Wieder eine Benachrichtigung erspart, nicht nur sich, sondern vor allem der Kundin. „Oft sind die Leute mit etwas beschäftigt und hören mich nicht. Nachher heißt's manchmal, ich hätte nicht geläutet.“ Da achtet er lieber selbst auf kleinste Details und weiß meistens intuitiv, ob jemand daheim ist oder nicht.

Kurz nach 11.30 Uhr hat Willi Volkert bereits 110 Pakete zugestellt. Er kommt gut voran heute, obwohl es nasskalt und ungemütlich bleibt. Das Fahrzeug wird nicht richtig warm, weil ständig eine der Türen offen steht. Die Bewegung hält den 60-Jährigen warm. Aber er freut sich auch, dass die stressigste Jahreszeit bald vorüber ist. Das eine oder andere Trinkgeld oder eine Schachtel Pralinen da und dort – „die Leute wissen halt, dass ich es gern süß mag“ – entschädigen ihn für den engagierten Einsatz. Er gibt auch viel zurück, manchmal fühlt er sich wie ein Sozialarbeiter. „Viele warten schon drauf, dass ich komme, weil sie sonst keinen zum Reden haben.“ Volkert hat „im Vorbeigehen“ schon Dachrinnen repariert, Vogelhäusl aufgestellt und sich die Sorgen mit dem Nachwuchs angehört. „Am Anfang hab’ ich gedacht ,Ist das ein großer Bezirk!’, aber jetzt mag ich ihn nimmer hergeben.“ Er fühlt sich mit vielen Menschen in Zuchering verbunden.

Und so gibt er weiter kräftig Gas. „Gott sei Dank, Weihnachten ist gerettet!“, ruft ihm eine junge Frau schon von Weitem entgegen. Viele haben ihre Geschenke wieder einmal auf den letzten Drücker bestellt, als käme das Fest überraschend. Volkert nimmt’s gelassen. „Es ist doch schön, wenn man überall freudig erwartet wird.“ Es geht auf 14 Uhr zu, als er am Postamt an der Windener Straße noch schnell die aufgegebenen Pakete einsammelt – über 100 sind es diesmal, viele als Retouren von Sendungen, die der 60-Jährige in der Vorwoche zugestellt hat. Aber auch das gehört zum Geschäft.

Zurück in der Hauptpost, muss Volkert alles noch abladen. Feierabend! Legt er sich jetzt daheim ein wenig aufs Ohr? Von wegen, er hat von Weihnachten noch nicht genug. „Jetzt geht’s erst auf den Christkindlmarkt!“