Wolnzach
Volle Kontrolle über Bayerns Kühe

Labor für Rohmilch-Untersuchungen

28.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:25 Uhr
  −Foto: Fotos: Milchprüfring Bayern

In Wolnzach steht eines der weltgrößten Labors für Rohmilch-Untersuchungen. Abermillionen von Proben aus sämtlichen bayerischen Molkereien werden hier analysiert. Betreiber ist der Milchprüfring Bayern. Man nähert sich dem Ziel der "gläsernen Kuh" .

 

Es ist eines dieser Unternehmen, von denen man kaum einmal etwas hört und sieht und liest - und irgendwann stellt sich heraus, dass die Firma in ihrer Branche weltweit in der Champions League spielt und man täglich mit dem Resultat ihrer Arbeit zu tun hat. In diesem Fall ist es der Milchprüfring Bayern, ein Unternehmen, das so unglamourös wirkt wie sein Name. Das lang gestreckte Firmengebäude steht unscheinbar im Gewerbegebiet von Wolnzach (Landkreis Pfaffenhofen), gleich hinter dem örtlichen Feuerwehrgerätehaus und den für die Hallertau üblichen Hopfengärten. Hier also steht nichts Geringeres als Europas größtes Labor für Rohmilch-Untersuchungen. Die Milch aus sämtlichen Molkereien im Freistaat Bayern wird hier in Wolnzach stichprobenartig systematisch unter die Lupe genommen. Es sind derzeit 16 Millionen Proben im Jahr - Tendenz steigend.

Den "gläsernen Menschen" will keiner haben. Die Vorstellung, dass unablässig intimste medizinische Daten erhoben werden, dass permanent Buch geführt wird wie es denn gesundheitlich so steht, gefällt nur Science-Fiction-Autoren oder den Chefs von Schurken-Staaten. Das gilt, wohlgemerkt, für den Menschen. Bei Kühen aber sieht das ganz anders aus. Sie werden unablässig kontrolliert, genauer gesagt, ihre Milch. Und die Möglichkeiten, was mit den dabei gewonnenen Daten anzufangen ist, wachsen von Jahr zu Jahr. Denn eine Milchprobe ist im Grunde genauso aussagekräftig wie eine Blutprobe. In Wolnzach ist man auf dem Weg zur "gläsernen Kuh".

Betrieben wird das Labor von einem eingetragenen Verein, dem Milchprüfring (mpr) Bayern. Dem Geschäftsführer Christian Baumgartner (59), seit fast 25 Jahren im Amt, ist es gar nicht unrecht, dass seine Einrichtung keine großen Schlagzeilen macht. Das sei dann nämlich ein deutliches Signal, dass mit der Milch in Bayern alles seine Ordnung hat, sagt er.


Die Milch ist in Deutschland seit Langem das am strengsten überwachte Lebensmittel. Der Staat und die Verbraucher erwarten, dass in diesem Grundnahrungsmittel keinerlei Rückstände sind, die für den Menschen schädlich sind. Konkret geht es um Antibiotika, die in der modernen Nutztierhaltung unverzichtbar sind. Kühe leiden immer wieder unter Euterentzündungen - die sich mit Antibiotika sehr gut behandeln lassen. Während der Behandlung darf aber die betreffende Milch auf keinen Fall an die Molkerei geliefert werden, geschähe es nun aus Absicht oder aus Schlamperei. Das hat auch ganz praktische Gründe: Ein Eimer Milch, in dem ein Rest von Antibiotika enthalten ist, macht den Inhalt eines gesamten Milchtransporters unbrauchbar. Die Antibiotika sorgen nämlich dafür, dass sich Keime nicht vermehren können - aber das gilt nicht nur für schlechte Krankheitserreger, sondern genauso für "gute" Joghurtkulturen oder die braven Bakterien, die Milch in Käse umwandeln. Kontaminierte Milch wird kein Käse mehr, das bedeutet für jede Molkerei einen Krisenfall. Der gesamte wertvolle Inhalt eines solchen Tankzugs muss in Biogasanlagen entsorgt werden.

Auf der ganzen Welt wird deshalb die Rohmilch auf Antibiotika untersucht, und in Bayern übernimmt diese Aufgabe im Auftrag des Staates zentral für sämtliche Molkereien im Freistaat der Milchprüfring in Wolnzach. Früher waren die Labors noch auf zwölf Standorte verteilt, aber seit 2003 spielt die Musik ausschließlich in Wolnzach. Stichprobenmäßig überprüft werden alle Lieferanten, die eine bayerische Molkerei versorgen. Knapp 30000 Milchbauern sind das derzeit. Interessanterweise kommen rund zwölf Prozent dieser Bauern gar nicht aus dem Freistaat: Bayerische Molkereien werden auch von Landwirten bis aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, aus Österreich oder Tschechien beliefert. So hat Geschäftsführer Baumgartner beispielsweise rund 1000 österreichische Milchbauern in seiner Kartei.

Das Kunststück, die logistische Herausforderung, ist dabei erst einmal, von der Lieferung jedes Bauern eine Stichprobe zu nehmen und diese zuverlässig nach Wolnzach zu bringen. Das Ziehen der Proben geschieht automatisch im Milchsammelwagen. In der jeweiligen Molkerei wartet dann meist schon ein Mitarbeiter des Milchprüfrings und nimmt die Probenbehälter in Verwahrung. Niemand sonst soll Zugriff auf die schmalen Plastikröhrchen mit ihrem sensiblen Inhalt haben. In Kühltransportern gehen die Proben dann auf die mitunter weite Reise ins Labor nach Wolnzach. Im Zweischichtbetrieb werden dort am nächsten Tag Stichproben untersucht. Noch sind es Stichproben, aber wie Christian Baumgartner erläutert, steht eine neue Milchgüte-Verordnung ins Haus - und die besagt, dass dann die Überprüfung jeder einzelnen Lieferung zum Standard wird.

Rund fünf Millionen Proben werden derzeit im Laufe eines Jahres für diesen - staatlich angeordneten - Zweck in Wolnzach untersucht. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Arbeit, die von den etwa 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Milchprüfrings geleistet wird. Knapp 80 Prozent aller 1,2 Millionen Kühe in Bayern, rund 950000 Tiere, werden darüber hinaus individuell auf freiwilliger Basis untersucht. Den Auftrag dafür gibt die bäuerliche Selbsthilfeeinrichtung "LKV", die die Milchproben ebenfalls nach Wolnzach schickt. Dort werden sie auf ihren Gehalt an Fett, Eiweiß, Laktose oder Harnstoff analysiert. Insgesamt kommen so noch einmal über neun Millionen Proben im Jahr zusammen. Alles in allem bearbeiten die Wolnzacher in ihrem Labor rund 16 Millionen Proben Milch im Jahr.

"Gemessen an den Probenzahlen sind wir weltweit eines von den drei größten Labors", sagt Baumgartner. In Holland gebe es noch eine ähnlich große Einrichtung, in Neuseeland sei eines "ein bisschen kleiner als wir". Und die USA, wo angeblich alles immer viel größer ist als in Europa? "Da hat das größte Milchlabor nur ein Drittel unserer Größe." Bayern ist eben bis zum heutigen Tag ein Milchland, hier wirtschaften 52 Prozent aller deutschen Milchbauern, in bayerischen Ställen stehen 27 Prozent aller deutschen Kühe. Der Durchschnittswert pro Stall: 45 Kühe.

So kommt es, dass es gerade in Bayern solch ein großes Milchlabor gibt - denn Milchprüfung ist Sache jedes einzelnen Bundeslandes. Baumgartner sähe aber kein Problem darin, die Milch aus halb Mitteleuropa in Wolnzach zu testen: Ein Anfahrtsradius von 24 Stunden wäre jederzeit denkbar, sagt er. Das Unternehmen hat sich bereits das Grundstück für einen Erweiterungsbau gekauft.

Kein Wunder, dass sich in Wolnzach mit seiner hochmodernen Technik und Logistik lernbegierige Gäste aus dem Ausland die Klinke in die Hand geben, und einheimische Gruppen auch. Fast 2000 Besucher waren es im vergangenen Jahr. Baumgartner blättert kurz im Gästebuch des Milchprüfrings: Da haben sich Chinesen, Tunesier, Japaner oder Brasilianer verewigt. Die Wolnzacher helfen auf Vermittlung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums beim Aufbau von Milchlabors in Bosnien und Kroatien, beraten bei Tierzuchtfragen in Nordafrika. Geschäftsführer Baumgartner selbst, ein promovierter Fachtierarzt für Rinder, fliegt um den halben Globus, um zum Beispiel an der Tagung der "International Dairy Federation" teilzunehmen. des Welt-Milch-Verbands also. Im kommenden Juni ist er in Prag bei der "analytischen Woche". Auch da geht es ausschließlich darum, was man aus der Milch alles herauslesen kann.


Und das ist eine ganze Menge. Wer die Milch versteht, der versteht die Kuh. Seit 2014 schon gibt es ein Programm, mit dem Bauern die Trächtigkeit ihrer Kühe über die Milch ermitteln lassen können. Das Interesse an diesem Angebot wird von Jahr zu Jahr größer, zuletzt waren es 200000 dieser tierischen Schwangerschaftstests. Insgesamt wird der tägliche Milchtest zunehmend zum permanenten "Gesundheits-Check der Kuh", wie Baumgartner es formuliert. Der Stoffwechsel kann neuerdings mittels "Infrarot-Spektren" über die Milch ständig kontrolliert werden. Dabei lassen sich Entzündungsherde im Körper bestimmen, der Ernährungszustand analysieren, Mangelerscheinungen und als Folge besonderer Futterbedarf feststellen. "Das Projekt ist im Dezember abgeschlossen worden", sagt Baumgartner. Demnächst erhielten als Konsequenz die teilnehmenden Bauern einen "Stoffwechselbericht".

Da ist sie also: die "gläserne Kuh". Baumgartner sagt klipp und klar: "Die Logistik ist so aufwendig: Deswegen wollen wir die Milchproben, die wir ohnehin haben, so weit wie möglich ausnutzen. Da wollen wir alles rausholen, was geht."

DER MILCHPRÜFRING BAYERN

Der Milchprüfring Bayern (mpr)  ist ein eingetragener Verein. Er fungiert als neutrale Prüforganisation im Dienste der bayerischen Milchwirtschaft. Die beiden zentralen Ziele sind der Verbraucherschutz und das Tierwohl. Insbesondere ist es Anspruch des mpr, die Qualität der Milch zu kontrollieren und langfristig zu fördern. Im Vorstand sitzt je ein Vertreter der Gruppe der Milcherzeuger (bestellt durch den Bayerischen Bauernverband), der Gruppe der privaten Milchbe- und -verarbeitungsbetriebe (bestellt durch den Verband der Bayerischen Privaten Milchwirtschaft e.V.) und  der Gruppe der genossenschaftlichen Milchbe- und -verarbeitungsbetriebe (bestellt durch den Genossenschaftsverband Bayern e.V.). Der mpr ist  im Auftrag des Freistaats Bayern für die Umsetzung der Milchgüte-Verordnung in Bayern zuständig und fungiert darüber hinaus als Dienstleister für Molkereien und Milcherzeuger.

 

Richard Auer