München
Voll Melancholie und Tristesse

David Bösch inszenierte "Mensch Meier" von Franz Xaver Kroetz im Marstalltheater

12.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:20 Uhr

Trautes Heim, Glück allein? Bei den Meiers (Katharina Pichler, Marcel Heuperman, Norman Hacker, von links) implodiert das scheinbare Idyll plötzlich am Küchentisch. - Foto: Dashuber

München (DK) Abgerackert hat er sich sein Leben lang am Fließband bei BMW. Reichtümer konnte er dabei nicht anhäufen. Nur für ein bescheidenes Heim mit Wohnschlafzimmer samt Klappbetten in der akkurat aufgeräumten Schrankwand hat es gereicht (Bühnenbild: Patrick Bannwart). Und ein paar Urlaubsfotos im Regal dokumentieren bescheidene Erholung an einigen Seen und Meeresstränden.

Meier heißt die Titelfigur in Franz Xaver Kroetz €™ sozialkritischem Stück "Mensch Meier" vom Jahre 1978, das an dramatischer Wucht bis heute nichts verloren hat. Otto Meier als Stellvertreter Zigtausender anderer in unserer Gesellschaft, für die der Lohn gerade zum Leben reicht. Doch Meier steht vor der Kündigung, "der Freistellung", wegen Auftragseinbußen in der Autobranche. Alle verdrängten Ängste kommen ihm plötzlich hoch, Wut und Verzweiflung werden zu Aggression: Frau und Sohn werden gedemütigt, Möbel werden zerschlagen, Bilder zertrümmert. Nicht einmal vor seinem ganzen Stolz, dem mit Hobby-Leidenschaft angefertigten Modellbauflugzeug, macht er halt. Auch diesen Ersatztraum von Freiheit und Lebensglück zerschmettert er. Was bleibt, ist nur noch das voll Zynismus ausgestoßene Sprichwort: "Trautes Heim, Glück allein."

Seine Frau Martha will sich daraufhin scheiden lassen; Sohn Ludwig hat schon vorher das Elternhaus verlassen: Tabula rasa mit geradezu attischer Wucht. Doch höchst anrührend ist es dann, wenn Otto nach seiner Wahnsinnstat am ramponierten Küchentisch mit Christbäumchen, die Bierflasche stets griffbereit, das Fotoalbum mit Erinnerungen an glückliche Tage durchblättert, während Frau und Sohn zurückkehren. Doch sie bleiben nicht lange . . .

Faszinierend hat Regisseur David Bösch das anfängliche kleinbürgerliche Scheinidyll, das plötzlich implodiert, im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels in Szene gesetzt. Da stimmen jeder Ton, jede Bewegung, jede Geste, jede Emotion, und die bei Kroetz so wichtigen Sprechpausen, die von Hilflosigkeit beim Artikulieren der Gedanken und Gefühle zeugen, hat Bösch erfreulicherweise auch nicht überstrapaziert. Ungemein authentisch ist das Milieu der "kleinen Leute" eingefangen, für die ein Sonntagsausflug in einen Biergarten bereits ein erinnerungsseliges Ereignis ist.

Vor allem jedoch brillieren in dieser betroffen machenden Aufführung die Protagonisten dieser Drei-Personen-Durchschnittsfamilie: Allen voran Norman Hacker als Otto Meier: Von gesellschaftlichen Normen ist er geprägt und fordert die bei Frau und Sohn auch ein. Doch kein kleinkarierter Spießer ist er, sondern ein durch seine Erziehung geformter, in überkommenen moralischen Maßstäben handelnder Arbeiter mit beruflichen Aufstiegshoffnungen, die aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten jedoch nicht realisiert werden konnten.

Dass Martha Meier zusätzlich zu ihrem Hausfrauendasein die stets angesprochene und alle belastende finanzielle Situation durch irgendeine Nebentätigkeit nicht verbessert, ist zweifellos ein großes Manko in diesem die gesellschaftliche Realität der Mittel- und Unterschicht ansonsten so genau analysierenden Theaterstück. Doch Katharina Pichler verkörpert diese an Marieluise Fleißers starke Frauenfiguren angelehnte Martha geradezu hinreißend: Hinter ihrer Resolutheit verbirgt sich menschliche Wärme, und bei allem Zorn über das Verhalten von Mann und Sohn schimmern stets die Fürsorge und die Empathie für beide durch.

Großartig ist auch das Debüt von Marcel Heuperman als renitenter Meier-Sohn Ludwig ausgefallen. Obwohl seine Eltern eigentlich "was Ordentliches" für ihn vorgesehen haben, will er unbedingt Maurer werden, was den Zoff in der Familie noch steigert. Einen zwischen Aufbegehren, Anpassung und Selbstfindung hin und her gerissenen Jugendlichen zeigt dieser verheißungsvolle Nachwuchsschauspieler, der die Konventionen seiner Eltern strikt ablehnt, doch die familiäre Nähe sucht - und enttäuscht wird. Eine schauspielerische Glanzleistung. Zuletzt enthusiastischer Applaus für diese packende Aufführung.

Die nächsten Vorstellungen sind am 22. Januar sowie am 13., 23. und 27. Februar. Kartentelefon: (0 89) 21 85-19 40.