Eichstätt
Vokalkunst in Vollendung

Die Singphoniker eröffnen die Konzertreihe Pro Musica grandios mit Liedern von Schubert und Kreisler

24.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:42 Uhr
  −Foto: Chloupek

Eichstätt (EK) Eine perfekt ineinander verzahnte Mixtur aus sehnsuchtsvoller Romantik, morbider Melancholie, ironischem Galgenhumor und rabenschwarzem Zynismus war es, die die Singphoniker, seit über 30 Jahren eines der weltweit besten Männer-Gesangsensembles, da zum Auftakt der neuen Pro-Musica-Saison im prächtig-barocken Ambiente des vollbesetzten Eichstätter Spiegelsaals kredenzten.

Wer auch sonst außer dem mehrfach ausgezeichneten, experimentierfreudigen Sextett käme auf die zunächst geradezu waghalsig erscheinende Idee, traditionelle Schubert-Sätze mit den aberwitzig beißenden Songs von Georg Kreisler zu kombinieren? Sicher, beide Tonschöpfer stammen aus Wien, beide haben sich mit Leidenschaft dem Liederschreiben gewidmet. Allerdings trennen sie nicht nur rund 150 Jahre Lebensabstand voneinander, sondern auch völlig unterschiedliche biografische Schicksale und Kompositionsstile. Oder haben sie doch mehr gemeinsam, als man dem ersten Eindruck nach vielleicht glauben möchte? Durchaus, wie sich im Laufe des Abends immer mehr herausstellt.
Dass die Singphoniker "ihren" Schubert bis ins Innerste in sich aufgesogen haben, ist natürlich wie erwartet von den ersten Tönen an spürbar. Bis ins noch so kleinste Detail formen sie alle klanglichen Entwicklungen aus, erwecken von der "Sehnsucht" und der "Wehmut" über "Wein und Liebe" sowie "Das Dörfchen" bis hin zu "Die Nacht" elegische, träumerische, idyllische, fantastische Stimmungen oder bisweilen sogar unheimliche, düstere Schattierungen, wie etwa beim "Geistertanz" oder bei "Grab und Mond".

Der ursprüngliche, bezaubernd intime Charakter der Stücke bleibt dabei stets gewahrt. Vollkommene stimmliche Homogenität, ein wunderbares Gespür für die ideale Phrasierung, für die Atmung im Einklang und für die optimal gesetzten Akzente zeichnet die fünf Sänger aus, was diesen Stücken zusätzlich eine besonders aparte, tief poetische, mitunter beschwörend verdichtete Suggestivkraft verleiht.
Countertenor Johannes Euler verströmt mit seinem luziden Altus luftige Leichtigkeit, der souverän strahlende Tenor von Daniel Schreiber harmoniert herrlich mit dem samtig kultivierten Timbre seines Stimmkollegen Henning Jensen. Bassbariton Michael Mantaj unterfüttert den Gesamtklang mit vollem Volumen, während Christian Schmidts profunder Bass die fundamentale Basis bildet. Komplettiert werden sie des Öfteren durch die ebenso agil wie einfühlsam illustrierende Begleitung des ensembleeigenen Pianisten Berno Scharpf.
Geradezu diebisches Vergnügen bereitet es der Formation, ihre ganz individuellen, vokalakrobatisch verstärkten und lautmalerisch unterlegten Versionen der sarkastisch-hintersinnigen Chansons von Georg Kreisler zu interpretieren - gegossen in den Pate stehenden Stil der Comedian Harmonists, den sie mit frecher mimischer Gestik garnieren.
Was Kreisler mit Schubert verbindet, ist beispielsweise die innere Rast- und Heimatlosigkeit, eine gewisse Neigung zur Morbidität, zum Schaurig-Wahnhaften, wie in den ausgefeilten Zwischenmoderationen immer wieder zum Ausdruck kommt, die sowohl mit unterhaltsamer Würze die biografischen, sozialen und politischen Hintergründe der beiden Wiener Liedkomponisten unter die Lupe nehmen als auch feinsinnig deren Berührungspunkte und Querverbindungen aufzeigen.
Einmalig, wie die Singphoniker sich musikalisch vor dem "Gesamtkunstwerk Kreisler" verbeugen, wie sie sich auf ihre persönliche Weise seinem unvergleichlichen Wortwitz, seinen treffsicheren Pointen, seinen ausgefeilten Rhythmen und farbigen Melodien hingeben, wie sie schalkhaft-verschmitzt "Das Mädchen mit den drei blauen Augen" anhimmeln, die moritatenhafte Atmosphäre des "Kärntner Männerchors" auskosten, in Swing-Laune die Geliebte bitten: "Please shoot your husband", sich in süffisant-satirischer Reminiszenz an den "guadn oidn Franz" erinnern, geradezu anarchisch ausrufen: "I hab koa Lust" - und beim "Herrlichen Weib" sogar schwärmend in Kauf nehmen, dass die angebetete Dame - von ihrer Schönheit abgesehen - mitnichten den Bildungsanforderungen der Gesellschaft entspricht. Solche Nummern offenbaren einmal mehr das exzellente Ausdrucksformat, die hervorragende Klangkommunikation, die unbändige Gestaltungslust des Solistenensembles. Und als Zugabe kommt es schließlich doch noch: Das bestimmt von so manchem Zuhörer sehnlich erwartete, unschuldig walzerhaft anhebende und doch so makabre "Tauben vergiften im Park", bevor das begeistert applaudierende Publikum mit einem fröhlichen Schubert'schen Trinklied entlassen wird.
So gerät das diesjährige Eröffnungskonzert der Aboreihe "Pro Musica" nicht nur zur musikalischen Begegnung zweier begnadeter "Wiener Liedermacher", sondern auch zum Gipfeltreffen vollendeter Vokalkunst.

Heike Haberl