Ingolstadt
Virtuose Kunst des Kabaretts

Luise Kinseher zieht mit ihrem neuen Programm "Ruhe bewahren" in Ingolstadt unterhaltsam und kritisch alle Register

01.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Der Applaus will nicht enden nach zwei Stunden, in denen Luise Kinseher, Bayerische Kabarettpreisträgerin 2014, das Publikum in der ausverkauften Eventhalle begeistert hat mit Schauspiel, Gesang, mit Tanz- und Yoga-Einlagen, Monologen und im Dialog mit ihrem Auditorium. Ihr neues Programm „Ruhe bewahren“ ist zugleich Philosophiestunde, Nachdenken über Zeit, Vergänglichkeit und Gegenwart, ist Sinnieren und Lästern über die Geschlechterbeziehung, ist deutliche Kritik an Politik.

Und das präsentiert sie charmant und klug, derb-witzig und ernsthaft, schlagfertig und augenzwinkernd.

Sie schlüpft dabei in ihre bekannten Bühnenfiguren der Mary von Bavary im geblümten Morgenmantel, der Helga Frese mit Brille und Trenchcoat, und es blitzt die Mama Bavaria vom Nockherberg auf, wenn Luise Kinseher im kleinen Schwarzen Politiker aufs Korn nimmt und nebenbei angeblich Privates ausplaudert.

Die 46-Jährige verbringt nämlich den Abend mit Warten darauf, dass der Traummann, „groß, gut aussehend, vermögend“, den sie tags zuvor im Fahrstuhl eines Hotels getroffen und angehimmelt, ihm sogar ihre Telefonnummer gegeben habe, anruft. Verabschiedet habe er sich mit „Bis bald“. Anlass genug, über die Dimensionen von Zeit und das Zeitgefühl der Menschen nachzudenken.

Dabei bewegt sie sich vom ländlichen Niederbayern über die Stadt Ingolstadt bis ins afrikanische Burundi und schwenkt in das sich ausbreitende Universum des Physikers Stephen Hawking. Sie schöpft aus Literatur und Film, aus Geschichte und Wissenschaft und verbindet alles mit Leichtigkeit.

Das Publikum solle nach der stressigen Arbeitswoche entspannen, nicht mehr grübeln, was nicht geschafft worden sei. „Was aber auch zu schaffen gewesen wäre!“, raunzt sie augenzwinkernd. Sie müsse ja auch weiterarbeiten, ihr vorheriges Programm, „Einfach reich“, sei nicht leicht zu verwirklichen: Für eine normale Dreizimmer-Wohnung werden in der Münchner Innenstadt 1,4 Millionen Euro verlangt, prangert sie den Irrsinn auf dem Immobilienmarkt an, zählt unter anderem noch Klimawandel und Schuldenkrise auf. Angesichts aller Irrungen und Katastrophen sei „Ruhe bewahren“ oberstes Gebot. Äußerlich ruhig, aber deutlich kritisch zählt sie weitere Missstände auf, dass arme Kinder selten Abitur machen, dass Bildungsminister Ludwig Spaenle sich nicht an eine richtige bayerische Bildungsreform traue, dass man sich mit viel Geld vom Grundgesetz, das eigentlich den Normalzustand der Gesellschaft beschreibt, freikaufen könne. Ihr Fazit: „Das Grundgesetz steht in meinem Bücherregal in der Abteilung fantastische Literatur, Utopien des 20. Jahrhunderts!“

Sie kritisiert, dass Markus Söder in der BR-Serie „Dahoam is dahoam“ mitspielen und Parteienwerbung machen durfte: „Erklären Sie mir hier in Ingolstadt, wie das geht, dass Söder mit seinem nigelnagelneuen Bonzen-Audi eine Panne haben konnte“ Und: „Wieso war er auf einer Seitenstraße unterwegs? Meidet der schon Mauthstraßen“ Die Politiker seien wohl alle auf Drogen oder Tabletten. „Oder wissen Sie, warum Ilse Aigner ständig grundlos lächelt? Merkel und die anderen im Bundestag sind, wie sie sind“ Nur Horst Seehofer werfe nichts ein: „Der kifft“, sagt sie unter Beifall und Gelächter.

Sie blickt erneut aufs Handy, wartet auf den Traummann, stellt Mutmaßungen an, dass er kein Galerist oder so etwas, sondern Waffenhändler sei, ein Lügner. Als Helga erzählt sie vom Kampf mit dem Vertreter der Pflegeversicherung, von der Diskussion darüber, ob der demente Ehemann Heinz eine Pflegestufe erhalten könne, schließlich putze der sich selbstständig die Zähne: „Ja, aber nur, wenn ich aufpasse mit der Zahn- und nicht mit Klobürste!“

Ohne Längen oder Brüche spannt Luise Kinseher so den Bogen zwischen Alltäglichem, Hoffnungen, Enttäuschungen, Liebe, Gaunereien, groben Verfehlungen, Politik, Philosophie und Wissenschaft. Dabei bringt sie kuriosen Körpereinsatz mit den Yogaübungen vom „röchelnden Hund“ und mit der „kaputten Kobra“, den Beispielen für Wellness-Wahn, tanzt und singt mit voller, weicher Stimme thematisch passend den Bondfilm-Song „We have all a Time in the World“ und das Liebeslied „Dream a little Dream of me“.

Kein Wunder, dass das Publikum die grandiose Künstlerin nicht gehen lassen wollte.