Altmannstein
Virtuelle Schatzsuche in der Wirklichkeit

Eine moderne Schnitzeljagd

29.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:36 Uhr
Im Pondorfer Bücherschrank wirft Gerhard Strobel einen Blick in das Geocaching-Loggbuch. Mit dem Handy gehen die Spieler dabei auf eine virtuell-reale Schatzsuche. −Foto: Ammer, Missy

Altmannstein (DK) Es ist eine moderne Schnitzeljagd: Mit dem Handy suchen Menschen Schätze in geheimen Verstecken, die andere für sie ausgelegt haben. Geocaching hat inzwischen weltweit eine Fangemeinde. Wir haben uns in Altmannstein auf die spannende Schatzsuche begeben.

Das Abenteuer beginnt mit dem Gefühl, ein Jäger zweiter Klasse zu sein. Die Geocaching-Tour startet in Schamhaupten. Die App verrät: In der Nähe des Schambachursprungs ist ein sogenannter Cache, ein kleines Versteck. Zielsicher steuern wir den Skilift am Schamhauptener Kesselberg an. Es nieselt leicht und die Wiese ist matschig. Aber das mindert unseren Jagdinstinkt nicht. Der Blick auf den Smartphonebildschirm dagegen schon: "Mache das Upgrade und sehe mehr." Kostenpunkt: 5,99 Euro pro Monat. Also weiter nach Sandersdorf, ganz ohne Premiumaccount.

Die App verspricht dort einen Geocache, der ohne kostenpflichtige Premiummitgliedschaft angesteuert werden kann. Was fasziniert über 1,5 Millionen Geocacher weltweit? Warum wählen die Hartgesottenen sogar ihr Urlaubsziel danach aus, an welchen Orten sie möglichst viele oder auch ganz besondere versteckte Dosen finden können, um sich dort in ein kleines Buch einzutragen und in ihrer App das Versteck als gefunden einloggen zu können? Die App hat uns zu einer Straßenkreuzung in Sandersdorf geführt. Der versteckte Cache heißt "Schambachtaler Brückendoserl 1". Aha, wir suchen eine Brücke. Die gibt es hier, das schränkt die Suche ein. Das Handy meldet sich vibrierend mit der Nachricht "Sie nähern sich dem Ziel" zu Wort. Auch einen Hinweis gibt es: "Für manche ist hier frei." Damit ist der Fall klar. An der Straßenüberführung des Schambachtalbahnradwegs befindet sich das Verkehrsschild: Bedienstete frei. Wer die Augen offen hält, erspäht eine kleine Dose. Gefunden! Was die Faszination Geocaching ausmacht? Wahrscheinlich das Prinzip Schnitzeljagd. Man sucht, man findet. In diesem Fall eine kleine Plastikdose mit einem kleinen Notizbuch. Ein gutes Gefühl.

Das wird auch nicht geschmälert von der relativ geringen Schwierigkeitswertung. Nur eineinhalb von fünf möglichen Sternen. Diese Wertung nimmt der Owner vor, also der registrierte Nutzer, der diesen Geocache platziert hat und ihn auch verwaltet. Es muss regelmäßig überprüft werden, ob der Cache noch an Ort und Stelle ist. Außerdem gleicht er die Einträge im Notizblock mit denen in der App ab. Der Blick ins Protokoll des Sandersdorfer Caches zeigt: Wir waren beileibe nicht die ersten. "Nach kurzer Suche konnten wir hier das Logbuch signieren", schreibt jwolfskin. Und: "TFTC" - Thanks for the Cache. Wir loggen den Cache als gefunden ein und nehmen das nächste Versteck ins Visier. Auf nach Pondorf.

"Wenn der Esel was sehen will, so dreht er den Kopf", lautet der Hinweis, den das Handy ausspuckt. Hinter der Hecke auf der Weide stehen Lissy, Sissy, Rana und Georgi - die Esel im Pondorfer Eselgarten - und wenden die Köpfe neugierig in unsere Richtung. Trägt einer von ihnen den Cache? Unwahrscheinlich. Versteckt hat ihn "Piratenbär", teilt die App dem Schatzsucher noch mit - und dass er sich auf leichtem Terrain befindet. Und in der Tat: Wer etwas genauer hinsieht, dem fällt schnell auf, dass es hier neben den vier neugierigen Langohren hinter dem Zaun noch einen weiteren Esel zu entdecken gibt. Darin, wie erwartet, ein Logbuch. Viel benutzt. Und kleine Schätze wie Überraschungseierfiguren. "Die sind vor allem für die Kinder", erklärt "Piratenbär", der sich als der Pondorfer Gerhard Strobel entpuppt. Das System baut darauf, dass jeder mitmacht - wer einen Schatz aus der Dose nimmt, muss auch selbst einen zurücklassen. Das klappe nicht immer, zweimal sei ihm auch die Dose schon gestohlen worden, erzählt Strobel. Ein Verhalten, das nicht zu den typischen Cachern passt. Zu den ehrhaften Schatzsuchern. Die beschreibt Strobel nämlich als naturbewusste ehemalige Pfadfinder, die sich bevorzugt mit Schlapphut und Anglerweste auf die moderne Schatzsuche begeben. "Und sie sind so gut wie nie allein unterwegs." Natürlich gibt es auch Ausnahmen, doch was sie teilen ist der Spaß an der Jagd - und der vergeht nunmal, wenn einer den Cache einfach mal einpackt.

Gerhard Strobel betreut die beiden Geocaches in Pondorf - und zwar für einen Freund von ihm, der sie dort platziert hat. Louis aus der Schweiz. Er ist der wirkliche Schatzsucher von ihnen, plant zum Teil auch seine Urlaube danach. Über 2300 Caches hat er schon geloggt, da ist Strobel weit entfernt. Er nimmt nur manchmal einen mit, der auf dem Weg liegt - oder sucht eben dann, wenn Louis zu Besuch ist.

Rund zweimal die Woche kommt ein Geocacher auf Schatzsuche nach Pondorf. Gerhard Strobel bekommt dann einen Hinweis auf sein Handy, dass die Dose geöffnet und der Cache geloggt wurde. Manchmal, ganz selten, trifft er auch jemanden, der gerade auf Schatzsuche ist. Dann hilft er schon mal weiter, wenn man ihn fragt, gibt noch einen zusätzlichen Hinweis. "Virtual goes real", benennt er den Reiz am Geocaching aus seiner Sicht.

"Piratenbär" betreut auch den zweiten Cache in Pondorf. Es riecht nach Holz und alten Büchern. Seiten über Seiten, nebeneinander, in Reihen gestapelt. Wer sucht, kann hier ein großes Lesevergnügen finden - oder einen kleinen Schatz. Die App gibt einen Hinweis auf das Versteck, Strobel sieht, dass es nicht jeder bisher gefunden hat, aber doch die meisten. "Baumklettern nicht erforderlich", hilft die App noch weiter. Und: "Im Winter zugänglich." Ein Smilie erscheint auf der virtuellen Handykarte an der Stelle des Bücherschranks, als wir den Cache zufrieden loggen - und ein kleines Geschenk neben unserer Unterschrift in der Dose hinterlassen. So, wo ist nun der nächste Schatz? Die Suche geht weiter.

Der Endgegner trägt die Nummer GC4V957 und kommt geradezu selig daher. Der Cache, den wir suchen, soll sich zwischen Dollnhof und Thannhausen befinden. Geocacher "fullblooded" hat ihn hier anno 2013 an einer Wegkapelle versteckt. Aber nicht in der Kapelle, wird noch gewarnt. "Ein schneller Hin und Mit", lautet es in der App. "Happy Caching." Aber nichts dergleichen. Es geht weder schnell, noch ist hier alles "happy". Wir stapfen um die Kapelle, untersuchen das Gemäuer, suchen im Dickicht. Kurzzeitig wird über den Plan diskutiert, auf einen Baum zu klettern. Wir finden den Schatz nicht.

"Die Geocacher sind eine eingeschworene Gemeinde und haben einen Ehrenkodex", sagt Strobel. "Muggel" werden die Nicht-Cacher genannt - wie in der Welt von Harry Potter die Nicht-Zauberer. Auch vom Geocaching sollen die Nicht-Cacher möglichst wenig mitbekommen, ebenso wie in der Zaubererwelt die normalen Menschen. "Sie hätten kein Verständnis", mutmaßt Strobel.

"Die Caches können auch aufgelöst werden, sind aber auch teilweise schon von Sammlern als Souvenir mitgenommen worden." Dabei handelt es sich zwar eher um so genannte Trackables, schmuckvolle Münzen, die von Versteck zu Versteck getragen werden und häufig um die ganze Welt wandern, doch auch an der Wegkapelle muss die Plastikdose entwendet worden sein. Anders ist unsere Erfolglosigkeit kaum zu erklären. Vielleicht lag es aber auch an der Ausrüstung. "Manche Geocacher machen sich mit Klettergurt, Seil und Neoprenanzug auf den Weg", erklärt Strobel, der mal ein Versteck auf dem Grund des Neusiedler Sees entdeckte. "Für manche Schätze braucht man spezielle UV-Lampen, bei Tageslicht sind sie nicht zu entdecken." In Dollnhof könnten wir auch am eigenen Unvermögen gescheitert sein. Unter all den virtuellen Logbucheinträgen hinterlassen wir erst als zweite Jäger überhaupt die Nachricht: "Ewig gesucht, nichts da." Die Erkenntnis: Zur Faszination Geocaching gehört, dass es nicht ganz einfach ist. Dafür läuft es in Hexenagger besser.

Hier sind auf der Karte der Geocaching-App zwei Schätze eingezeichnet. Den ersten finden wir im Gebüsch in der Nähe der Kohlmühle, den anderen an einer Brücke. Nach zwei Stunden an der frischen Luft, gibt der schnelle Erfolg einen Motivationsschub. Die halb virtuelle, halb analoge Schnitzeljagd sorgt für eine intensivere Aufmerksamkeit für die Umgebung. Bäume, die man sonst wohl nicht einmal aus dem Augenwinkel wahrgenommen hätte, werden genauestens inspiziert, man krabbelt unter einer Fahrradbrücke hindurch und bahnt sich seinen Weg durchs Gestrüpp. Neben den traditionellen Caches gibt es auch Quests. "Da sind die einzelnen Verstecke eine Serie und man muss Rätsel lösen oder mathematisierte Koordinaten herausfinden, um zum nächsten Ort zu kommen", sagt Strobel. Eine Aktivität für Körper und Geist, die am meisten Spaß in der Gruppe macht. Vor allem, weil dann die Chance höher ist, dass ein guter Schafkopfspieler dabei ist - eine Fähigkeit, die beispielsweise für die Reihe am Köschinger Waldhaus unabdingbar ist.

Ein Bankerl am Rand von Laimerstadt hält uns nicht lange auf. Kinderspiel - Cache gesucht, gefunden, Zettel unterschrieben, Smilie auf dem Handydisplay. Es folgt: "Der Turm". Luftlinie müsste er 50 Meter durchs Maisfeld liegen. Doch ein Turm lässt sich auch im Sprung nicht einmal erahnen. "Du näherst dich dem Ziel", sagt die App dennoch unbeirrt. Nasse Grasbüschel schlackern gegen die Hosenbeine. Ein Baum, dann die Erkenntnis des geübten Auges. Da muss der Cache sein. Und in der Tat offenbart sich der Turm doch noch dem Betrachter, wenn auch nicht auf den ersten Blick. "Es ist ein Cache im Cache", sagt der Hinweis - und neben der liebevollen Gestaltung spürt der Finder auch ein klein wenig die Historie, die von dem Ort ausgeht, vom Limes, auf dem er sich befindet. "Ihr befindet euch auf UNESCO-Weltkulturerbe, verhaltet euch bitte dementsprechend", weist "Matolufe" hin, der den Cache versteckt hat. Vorsichtig legen wir ihn zurück. Die Nässe dringt langsam durch unsere Schuhe, das Glücksgefühl mindert das kein bisschen. Schließlich sind wir keine Muggel mehr, sondern echte Schatzsucher inmitten grüner Natur.

Isabel Ammer, Christian Missy