Ingolstadt
Vielfalt der Körpersprache

"Percepção" eröffnet die Ingolstädter "Tanztage22 Frühling": Performative Installation mit Kunst, Video, Klang und Tanz

20.03.2022 | Stand 29.03.2022, 3:33 Uhr
Den Körper erkunden - dies erprobten die Tänzerinnen auch in und an den stelzenartigen Holz-Seil-Konstruktionen, die das Zusammenspiel von Kunst und Bewegung offenbarten. −Foto: Kusche

Ingolstadt - Wild zucken Lichtblitze auf einer großen Leinwand, während Jürgen Schulze seine federnd hängenden Stahlplatten virtuos bewegt und dadurch einen dynamischen, sich stetig verändernden Klangraum schafft.

Die Zuschauer stehen mitten in einem der beiden großen Räume des P3 und betrachten vor, neben und hinter sich ein Dutzend Tänzer und Tänzerinnen, die am Boden, auf Stühlen, Sesseln, Installationen und Kunstobjekten, vor überdimensionalen abstrakten Bildern und der Videoleinwand auf die optischen und akustischen Impulse reagieren und ihren Körper diese Informationen der Außenwelt übersetzen lassen.

Regelmäßig ertönt dazu die Stimme der Bewegungsforscherin Stefanie Hahnzog oder der Choreografin Yahsmine Lamar und fordert die Tänzer dazu auf, sich treiben zu lassen, in den Ozean der Bewegung einzutauchen, die Kunsterzeugnisse synchron zu übersetzen oder in eine Gegenbewegung zu verfallen.

Die performative Installation, die drei Tage lang in der Kulturhalle P3 zu sehen war, heißt "Percepção" und ist mehr als nur Wahrnehmung. Sie meint auch: Vorstellung, Bewusstsein, Gefühl. Das Künstlerkollektiv um Lamar und Hahnzog, zu dem neben Jürgen Schulze auch Doren Dillinger mit ihrer "Violin Performance" und Joey Finger mit seiner "Trompeten Performance" gehören, will die Genese der Bewegung und ihr Zusammenspiel mit der Kunst zeigen. Dabei soll auch der Zuschauer mit einbezogen werden und aus seiner Rolle als bloßer Rezipient ausbrechen: Er soll sich inspirieren lassen von der Dynamik, der Kunst und dem Raum, in dem er sich befindet, und vom passiven Betrachter zum "Active Performer" werden. Bei einigen Zuschauern funktioniert dies tatsächlich.

"Wie fühle ich die Zeit im Moment? Lang oder kurz? Wie empfinde ich die Zeit, wenn ich dieses Bild betrachte? Die Zeit, die mich formt, mir Raum gibt und ihn mir nimmt." So klingen die Fragen und Impulse von Yahsmine Lamar an die Körpertänzer und -tänzerinnen (sie sind in der Mehrzahl). Gleichzeitig eröffnen sich überraschende Klangwelten, die sich bald metallisch-vibrierend, bald im sentimentalen Moll der Violine oder auch einmal in jazzigen Trompeten-Improvisationen entfalten. Und die Performer sind in ihre eigene körperliche Welt eingetaucht, das ist deutlich zu sehen: Mit dem Rücken zum Betrachter versinken sie in den Kunstwerken oder eignen sie sich an, indem sie sich auf, unter und über die Granitblöcke und Stühle schmiegen, im ekstatischen Stakkato die stelzenartigen Holz-Seil-Konstruktionen oder den alten Leiterwagen erkunden und behutsam in die vertikalen, transparenten Folienröhren schlüpfen, um ihrem Körper- bewusstsein Raum und Ausdruck zu geben - manchmal auch unbekleidet.

Ihr verklärter Blick zeigt, dass sie gerade ein multimediales Body-Mind-Erlebnis durchleben und nur den eigenen Körper sprechen lassen: Die Bewegungen kommen aus dem Inneren und sind authentisch, individuell, persönlich. Dabei bestimmen nicht nur Musik und Klänge die Dynamik und Richtung der Aktionen. Es sind auch die Objekte, Bilder und Videoinstallationen von Ludwig Hauser, Anton Kaun und Mwafak Maklad, die für Bewegung und Körperkontakt sorgen. Parallel dazu laufen im Nebenraum acht brasilianische Tanzkurzfilme in Endlosschleife. Sie zeigen, wie Menschen in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren der Natur und sich selbst körperlich begegneten. Und überall findet man Barcodes im Fußboden mit weiteren Informationen zu den Kunstwerken der Installation.

Auch wenn "Percepção" am Eröffnungstag nur etwa 30 Zuschauer anlockte, ist es ein gelungenes, weit über die Region hinausweisendes Event, das ganz aus Spontaneität der Körperbewegungen lebt, die mit gesprochenen Texten und Bildern, Farben und Kunstwerken, Musik und Klangwelten eine unvergleichliche Symbiose eingehen. Die zeitgenössische Performance-Szene ist in Ingolstadt angekommen.

DK


Am 24. März folgt die zweite Veranstaltung der "Tanztage22 Frühling": Die Strado Compagnia Danza gastiert mit "Romeo und Julia. Wenn sie nicht gestorben sind" im Kulturzentrum neun.