München
Viele Fragen, wenige Antworten

Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Der Riss durch die Welt" im Münchner Cuvilliéstheater

11.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:38 Uhr
Wortreicher, aber wenig mitreißender Blick auf unsere Gesellschaft: Carolin Conrad, Cathrin Störmer, Oliver Stokowski, Lisa Stiegler und Benito Bause (von links) in Tilmann Köhlers Inszenierung. −Foto: Then

München (DK) Wie Mumien sitzen sie regungslos auf vier passend in Rot gepolsterten Rokoko-Stühlen auf der zunächst leeren Bühne des in Rot und Gold leuchtenden Rokoko-Kleinods Cuvilliéstheater und glotzen ins Publikum.

Beim langsam heller werdenden Licht schält sich in den Dialogen heraus, dass Tom seine im Internetbusiness verdienten Millionen in Kunst angelegt hat. Ein Grund mehr, dass er und seine taffe Gattin Sue (im supermodischen Outfit von Susanne Uhl) die durch ihre unorthodoxen Installationen auf Kunstmessen berühmt gewordene Sophia in ihre fashionable Jägerhütte irgendwo in den Alpen eingeladen haben. Ein - natürlich - spektakuläres Kunstprojekt wollen sie gemeinsam auf den Weg bringen. Doch Sophia ist nicht allein gekommen, sondern sie hat den ebenso coolen wie zunächst etwas zurückhaltenden Jared "aus dem Ghetto" mitgebracht. Ein farbiger junger Mann, der bereits als Shootingstar im internationalen Kunstmarkt gehandelt wird.

Soweit, so klischeehaft. Doch kaum über Kunst diskutieren sie, sondern in erster Linie gehen sie der Frage nach "Was wäre, wenn? " Und in einer verbalen Tour de force kommen sie schließlich in ihren "170 Fragmenten einer gescheiterten Unterhaltung" (so der Untertitel dieses Stücks) zu unterschiedlichen Antworten. Wen wundert's? Jedenfalls galoppieren sie in ihren jeweils kurzen Statements und bruchstückhaften Dialogen (zur Sphärenmusik von Matthias Krieg) als Paraphrase über die zehn biblischen Plagen querfeldein durch alle aktuellen und auch weniger aktuellen Themen: Von der Rache Gottes und der Hingabe an den Mann im Himmel geht's schnurstracks zum Genuss von Austern, vom Nationalismus von früher und heute zu den realen Ghettos und denjenigen in den Gehirnen der Rassisten, von den ehemaligen Sklavenmärkten in Afrika zu den heutigen Drogen und anderen Aufputschmitteln (wie die hier reichlich genossenen Alkoholika), von der Fratze des Kapitalismus und der Umweltzerstörung zu vielen anderen im Schnellgang angesprochenen und kurz durchgekauten Problemen und Problemchen. Dazu ein wenig Publikumsbeschimpfung, ein missglückter Partnertausch und die breit ausgemalte Apokalypse einer (symbolisch zu sehenden) Rattenplage, die die Welt in den Abgrund stürzen wird. Von allem etwas, alles nur kurz angesprochen, aber wenigstens raffiniert ineinander verwoben.

"Der Riss durch die Welt" heißt dieses neue Stück des 52-jährigen österreichischen Autors Roland Schimmelpfennig, das als Auftragswerk des neuen Residenztheaterintendanten Andreas Beck im Cuvilliéstheater seine Uraufführung erlebte. Freilich fragt man sich über eindreiviertel Stunden hinweg, ob dies alles nur banales Palaver zweier höchst unterschiedlicher Paare ist, die über sich und den Untergang der Welt räsonieren und sich dabei einander gewaltig auf die Nerven gehen, oder ob diese 170 wort- und gestenreich verplauderten Fragmente letztlich doch so etwas wie einen Smalltalk über den Zustand unserer oberflächlichen Gesellschaft ergeben.

Das kann und soll der Zuschauer für sich selbst entscheiden, zumal der Regisseur Tilmann Köhler in seiner Inszenierung einen kritischen Blick auf die beiden Paare, deren sozialen Status und die daraus resultierenden unterschiedlichen Ansichten richtet: Einerseits Tom und Sue als die von der Realität abgehobenen Hedonisten mit ausgeprägtem Geschäftssinn (brillant die beiden ins Residenztheater zurückgekehrten Oliver Stokowski und Carolin Conrad), andererseits die aus einfachen Verhältnissen zur Kunstikone aufgestiegene Sophia (Lisa Stiegler), die nebenbei eine herrliche Persiflage auf eine triviale Tanz- und Gesangsshow hinlegt, und ihr farbiger Lover Jared (unkompliziert jungenhaft: Benito Bause) als großer Hoffnungsträger in den finanzstarken Kunstkreisen.

Die zwischenmenschlichen Probleme, bedingt durch die sozialen Unterschiede, sind schier unüberwindlich, wenngleich hin und wieder Verständnis für die Ansichten der jeweils anderen gezeigt und auch geheuchelt wird. Doch Frust und Aggressionen gewinnen auf beiden Seiten die Oberhand, beispielsweise wenn das Künstlerpärchen als "Sklaven der herrschenden Klasse" sich sieht, vor allem jedoch als Jared von Tim rassistisch beleidigt wird.

Da fliegen die Fetzen, während Toms und Sues Dienstmädchen Maria (als patente Moderatorin herrlich schnoddrig und schnippisch: Cathrin Störmer) die auf der Drehbühne nun rotierende - natürlich symbolisch zu interpretierende - undurchdringlich erscheinende schwarze Mauer der unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zunehmend schneller in Schwung bringt.

Doch nach all den 170 Fragmenten einer wahrlich gescheiterten Unterhaltung fordert der ansonsten arrogante und süffisante Tom, der sich plötzlich jovial gibt, mit Inbrunst eine neue Gesellschaft. Na ja, schon gut.

Aber dieses allzu affirmative Stück bleibt trotz des Jubels des Premierenpublikums und der großartigen schauspielerischen Leistungen letztlich doch nur ein zwar wortreicher, aber wenig mitreißender Blick auf unsere Gesellschaft mit ihren Problemen.

ZUM STÜCK
Theater:
München, Cuvilliéstheater
Regie:
Tilmann Köhler
Bühne:
Karoly Risz
Kostüme:
Susanne Uhl
Nächste Vorstellungen:
15., 17., 20., 27. und
30. November
Kartentelefon:
(089) 21851940