"Vicky zählt zu den ganz großen Favoriten"

Weltcup-Auftakt in Sölden

25.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:22 Uhr
Hat das Potenzial für Siege: Viktoria Rebensburg gewann schon 16 Weltcuprennen, 2010 wurde sie Olympiasiegerin. −Foto: Stephan Jansen

Nach 224 Tagen Sommerpause starten die alpinen Skifahrer an diesem Wochenende in Sölden in die neue Saison.

Frau Ertl-Renz, an diesem Wochenende startet der alpine Ski-Weltcup in Sölden. Felix Neureuther kehrt nach einem Kreuzbandriss zurück, Fritz Dopfer hatte im Sommer Probleme mit den Adduktoren. Ob die beiden am Sonntag starten, entscheidet sich erst kurzfristig. Reicht es für sie noch einmal für die Weltspitze?

Martina Ertl-Renz: Felix hat sicherlich das Potenzial für die Weltspitze. Das traue ich ihm zu. Wie ich gehört habe, hat er viel und hart trainiert. Es wird aber natürlich nicht leichter; wenn man älter wird, taucht doch mal das eine oder andere Wehwehchen mehr auf. Fritz habe ich kürzlich in Garmisch getroffen. Ihm wünsche ich einfach, dass er schmerzfrei trainieren kann, denn das ist natürlich die Grundvoraussetzung für eine Leistung an der Weltspitze. Aber ich sehe das ganz positiv: Die Jungs können im technischen Bereich schon vorne mitfahren.

In der vergangenen Saison zeigten auch die deutschen Abfahrer gute Leistungen, allen voran Hahnenkammsieger Thomas Dreßen. Kam der Erfolg für Sie überraschend?

Ertl-Renz: Er zählte schon zum erweiterten Favoritenkreis und hatte auch im Training und in den Rennen zuvor bereits gezeigt, dass er sehr schnell unterwegs sein kann. Er hat die Gunst der Stunde genutzt, aber das muss man in dem Moment auch runterbringen. Das hatte sich die ganze Mannschaft redlich verdient. Wir haben nun nicht nur im Technikbereich gute Leute, sondern auch in der Abfahrt eine schlagkräftige Mannschaft, allen voran mit Thomas Dreßen, aber auch mit Andi Sander und Josef Ferstl. Da macht es wirklich Spaß, zuzuschauen und mitzufiebern.

Werden die deutschen Abfahrer diesen Erfolg in der neuen Saison fortsetzen können?

Ertl-Renz: Da bin ich mir relativ sicher. Sie haben sich an die Abfahrten rangetastet. Abfahrer werden im Laufe der Jahre und mit viel Erfahrung oftmals besser, weil sie öfter auf den Strecken waren und mit den Geschwindigkeiten und Typen der verschiedenen Kurse besser zurechtkommen. Es wäre natürlich schön, wenn unsere Burschen auch bei der WM um Medaillen mitfahren könnten.

Das Team der Frauen besteht dagegen erneut quasi nur aus Viktoria Rebensburg. Was ist für sie drin in der neuen Saison?

Ertl-Renz: Was ich bisher mitbekommen habe, geht es Vicky sehr gut. Sie ist in Form. Natürlich ist der Riesenslalom ihr Steckenpferd, aber sie ist auch in der Abfahrt und im Super-G nicht zu unterschätzen. Da kann sie genauso aufs Podium fahren oder sogar gewinnen. Von ihr erwarte ich auf jeden Fall, dass sie bei der WM mindestens eine Medaille gewinnt. Sie hat das Potenzial, die Erfahrung und auch die nötige Lockerheit, um bei Großereignissen Medaillen zu gewinnen. Auch im Weltcup erwarte ich mir von ihr, dass sie gute Leistungen zeigt. Und ich hoffe, dass die anderen Mädels in ihrem Schatten ein bisschen mitziehen können und den konstanten Anschluss an die Weltspitze finden. Es wäre schön, wenn die eine oder andere regelmäßig unter die Top 15 oder Top 10 fährt.

Im vergangenen Jahr gewann Rebensburg die Disziplinwertung im Riesenslalom. Reicht es auch diesmal für eine Kristallkugel?

Ertl-Renz: Sie ist auf jeden Fall eine von den ganz großen Favoritinnen, besonders im Riesenslalom. Aber ich schätze sie auch im Super-G sehr stark ein, dort gehört sie zu den zwei oder drei Mädels, die die Kugel gewinnen können. Dafür muss alles zusammenpassen, aber sie hat ja ihr Können schon oft genug bewiesen und ist sicherlich auch in der Form, dass sie das schaffen kann.

Die Titelverteidiger im Gesamtweltcup sind Mikaela Shiffrin und Marcel Hirscher - und auch wieder die Top-Favoriten. Oder gibt es einen Geheimfavoriten?

Ertl-Renz: Die beiden sind so vielseitig und stark, dass es nicht einfach wird, sie zu schlagen. Aber sie müssen auch erst einmal gesund bleiben. Bei den Damen ist auch Sofia Goggia nicht zu unterschätzen. Und wenn Vicky in drei Disziplinen sehr, sehr stark fährt, kann auch sie durchaus um die Kugel mitfahren. Bei den Herren ist natürlich Marcel Hirscher ein großer Favorit. Wenn er fit ist, wird es schwierig für Henrik Kristoffersen oder andere, ihn zu bezwingen, weil er einfach eine Klasse für sich ist. Auch wenn ihn hin und wieder Felix oder Kristoffersen ärgern.

Hirscher könnte zum achten Mal in Folge den Gesamtweltcup gewinnen. Was macht der Österreicher anders als alle anderen, um so gut zu sein?

Ertl-Renz: Ich kenne ihn nur vom flüchtig Servus-Sagen. Es gibt immer mal wieder Ausnahme-Athleten, da gehören Mikaela Shiffrin, Lindsey Vonn und Marcel Hirscher dazu, früher Hermann Maier oder Ingemar Stenmark. Sie haben eine Kombination aus Vielem, was diese Dominanz ausmacht und sie konstant so viele Jahre ganz vorne mitfahren lässt: Wille, Talent, Psyche, die körperliche Fitness, Ehrgeiz - und auch die Freude am Skisport ist wichtig. Das ist die Basis, sonst würde man sich das nicht antun, dass man immer in der Kälte ist und in der Früh aufstehen muss.

Zwei andere Ausnahmeathleten bestreiten wohl ihre letzte Saison: Lindsey Vonn und Aksel Lund Svindal. Glauben Sie, dass Vonn noch viermal gewinnt und damit Stenmarks Rekord von 86 Weltcupsiegen bricht?

Ertl-Renz: Ich kann es mir vorstellen, dass Lindsey es schafft. Machbar ist es auf jeden Fall. Ich würde es ihr wünschen, weil sie so sehr und so lange und so hart dafür arbeitet. Und ich würde mich freuen, weil ich sie natürlich aus meiner Zeit noch sehr gut kenne. Es wird allein diesbezüglich schon spannend im Damenbereich. Und dann wünsche ich ihr, dass sie ihre Karriere zufrieden beenden kann, weil sie zuletzt von vielen Verletzungen geplagt war.

Der Höhepunkt der alpinen Ski-Saison ist die WM, die zum dritten Mal in Are ausgetragen wird. In dem schwedischen Ort absolvierten Sie Ihr allerletztes Weltcup-rennen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ertl-Renz: Ja, das war 2006 beim Weltcup-Finale. Ich habe gute Erinnerungen an Are, wir haben dort auch zuvor einige Weltcup-Rennen bestritten. Es ist schön, dass in Are alle Damen- und Herrenwettkämpfe auf einem Hang stattfinden. Die Leute in Skandinavien sind sehr ausgeglichen. Daher ist es immer toll, in Are zu fahren, speziell wenn man dort eine Weltmeisterschaft bestreiten kann.

Verfolgen Sie den Weltcup noch?

Ertl-Renz: Ich bin noch voll dabei und interessiert und habe nach wie vor Kontakt zu den Mädels, aber natürlich auch zu den Trainern, die zum Teil immer noch dieselben sind. Die Verbindung zur Skifamilie ist nach wie vor vorhanden. Zudem fahren meine Kinder schon Rennen und sind auch sehr interessiert. Schon alleine deswegen müssen wir alle Skirennen schauen.

Felix Neureuther sagte kürzlich, er würde die Disziplinen reduzieren und den Super-G abschaffen. Gibt es zu viele Disziplinen im alpinen Ski-Weltcup?

Ertl-Renz: Das sehe ich ein bisschen anders. Für mich ist der Super-G eine wichtige Disziplin, denn der Sprung von der Abfahrt zum Riesenslalom ist schon enorm. Für mich war der Super-G immer superspannend. Da haben immer die Mutigsten gewonnen, weil man keine zwei, drei Trainingsläufe hat wie in der Abfahrt. Man fährt mit sehr, sehr hohen Geschwindigkeiten und muss dann alles riskieren. In der Abfahrt dagegen kann man die Strecke langsam begutachten und sich in jedem Trainingslauf rantasten.

Was könnte man dann unternehmen, um den Weltcup spannender zu machen?

Ertl-Renz: Es gibt Diskussionen, dass man das Ganze kürzer gestalten sollte. Zwei Durchgänge im Slalom und Riesenslalom sind für Fernsehzuschauer wie mich manchmal etwas schwierig (lacht). Das zieht sich ganz schön lange über den Tag hinweg. Vielleicht sollte man schon vorher die Quali fahren und nur den Entscheidungslauf zeigen, um dafür mehr Zuschauer zu bekommen. Das macht auch den Parallelslalom sehr interessant, weil es ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist und das ganze Rennen schnell entschieden ist. Man sollte vielleicht mal das Ganze modernisieren oder überdenken, weil auch die Fernsehzeiten immer weniger werden. Für den Sportler ist es aber wichtig, dass er zu sehen ist.

Der Biathlon sorgt sich gerade um Laura Dahlmeier, die geschwächt ist und lange fehlen wird. Sind die Strapazen für Wintersportler mittlerweile zu groß?

Ertl-Renz: Ich kann mir das durchaus vorstellen, dass Biathleten ihren Körper sehr oft ans Limit bewegen und der sich dann wehrt und eine Pause fordert. Für mich ist es fast undenkbar, dass man drei Ausdauerrennen Vollgas hintereinander läuft. Das würde ich als sehr anstrengend empfinden (lacht). Aber als alpiner Rennfahrer liegt die Sache ein bisschen anders. Da ist es eher die Gefahr der Geschwindigkeit und der Verletzung, die man ein bisschen minimieren müsste.

Das Interview führte

Julia Pickl.