Grasheim
Verwöhnpädagogik und Förderwahn

Josef Kraus sprach bei den Landfrauen über das Phänomen der Helikoptereltern

24.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Gefragter Referent: Josef Kraus schrieb beim Tag der aktiven Landfrau Widmungen in seine Bücher. Zuvor hatte er kompetent und humorvoll das Phänomen der Helikoptereltern unter die Lupe genommen - Foto: Hammerl

Grasheim (SZ) Sie begleiten ihre Kinder bis ins Klassenzimmer, weit über die vom Rektor eingerichtete Kiss-and-go-Zone hinaus, wollen bei der Führerscheinprüfung dabei sein und den Arbeitsvertrag mit unterschreiben: Über sogenannte Helikoptereltern referierte Josef Kraus gestern beim Tag der aktiven Landfrau.

Den richtet Kreisbäuerin Regina Plöckl mit ihrem Team einmal jährlich aus. Zusammenkommen, gemeinsam einen reichhaltigen Brunch genießen und sich austauschen, das ist der Sinn der Veranstaltung. Dazu gibt es jeweils ein Referat zu interessanten Themen. Das übernahm diesmal Josef Kraus aus Eichstätt, pensionierter Schulleiter und erfahrener Referent. Kindererziehung wirke sich nicht nur auf die Schullaufbahn des Kindes aus, sondern spiele letztlich in alle Bereiche der Gesellschaft hinein, sagte er. Deshalb werde er auch zu internationalen Kinderarztkongressen, zu Fahrlehrerverbänden und Industrie- und Wirtschaftsorganisationen eingeladen, um das Phänomen der überfürsorglichen Eltern zu beleuchten.

„Das soll keine Generalabrechnung mit Eltern werden“, schickte Kraus voraus. Zwei Drittel aller Eltern, so schätzte er, erzögen ihre Kinder vernünftig. Das dritte Drittel wiederum teile sich in etwa zu gleichen Teilen in Eltern auf, die sich für gar nichts interessierten und ihre Kinder nicht erziehen würden, und in eben jene Helikoptereltern. Regional gebe es Unterschiede in der Häufigkeit. So erwartet Kraus in sozialen Brennpunkten der Großstädte mehr desinteressierte Eltern, während sich in Wohlstandsvierteln wohl mehr Helikoptereltern fänden. Die unterteilt er wiederum in Transport-, Rettungs- und Kampfhubschrauber.

Humorvoll und mit vielen Anekdoten mitten aus dem Leben beziehungsweise seinem reichen Erfahrungsschatz als Schulleiter gewürzt, erteilte Kraus der Übersorglichkeit wie auch damit „stets einhergehender maßloser Verwöhnpädagogik“ eine klare Absage. Weitere negative Phänomene seien ein um sich greifender Förderwahn für sogenannte VIB (very important babys), die Hirnforschung, die diesen Wahn unterstütze, und nicht zuletzt ein gewisser Narzissmus der Eltern, die sich wünschen, dass ihr Kind einmal erreicht, was sie selbst nicht geschafft haben.

Auch die Schulpolitik mische hier mit, die „Abitur-Vollkasko-Schulen“ schaffe, immer bessere Noten gebe und immer weniger Schüler wiederholen lasse. Heraus kämen Kinder, denen es an Biss, Hunger und Eigeninitiative fehle, die keine Verantwortung übernähmen. Was Kraus sorgenvoll in die Zukunft blicken lässt: „Das werden schwierige Eltern und Ehepartner – stellen Sie sich vor, wenn zwei solche aufeinandertreffen . . .“

Was also tun? Drei Appelle hatte Kraus für seine Zuhörerinnen mitgebracht – Appelle, denn Rezepte gebe es nicht. Erstens sollten Eltern die richtige Mischung finden aus Führen, Eingreifen und Einbinden einerseits sowie wachsen und geschehen Lassen andererseits. Diese Mitte sei täglich neu auszuloten. Zweitens sollten Kinder in Anspruch genommen werden, sollten Aufgaben erhalten. Am besten solche mit 50-prozentiger Erfolgschance, denn nur dann strengten sie sich richtig an und könnten hinterher stolz auf sich sein, wenn ihr Werk gelungen ist. Drittens empfahl Kraus Humor, denn der zeige dem Kind Wohlwollen, Wärme, Güte und Wertschätzung und ermögliche es den Erwachsenen, mit den Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten des Erziehungsgeschäftes zurechtzukommen.