Vertraute Bilder aus der Heimat

Auftakt von LiteraPur21: Norbert Scheuer liest online aus seinem Roman "Winterbienen"

19.05.2021 | Stand 28.05.2021, 3:33 Uhr
Spannender Schlagabtausch: Norbert Scheuer (links) unterhält sich per Zoom-Konferenz mit seinem Lektor Martin Hielscher. −Foto: bfr

Eichstätt - "Eigentlich bin ich ein Bauer, der Geschichten erzählt".

So ganz dürfte das Zoom-Konferenz-Publikum dem Autor Norbert Scheuer, der das Eichstätter Festival "LiteraPur21" am Montag eröffnete, diese Selbstcharakteristik nicht abgenommen haben. Erstmals fand eine Lesung dieser seit neun Jahren von dem Germanisten Michael Kleinherne und seinem Team organisierten Reihe digital in Form einer Zoom-Sitzung statt, in die sich zeitweise über 40 Zuhörerinnen und Zuhörer eingeklickt hatten.

Scheuer stellte seinen Roman "Winterbienen" vor, der 2019 auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis gelangt war, und für den er 2019 den renommierten Wilhelm-Raabe-Preis und 2020 den evangelischen Buchpreis erhielt. Doch bot dieser Festival-Auftakt weit mehr als eine bloße Lesung, da der Abend von Martin Hielscher moderiert wurde, dem Programmleiter für Literatur beim Münchner Beck-Verlag - und seit zwei Jahrzehnten Scheuers Lektor. Kein Wunder, dass sich im Wechselspiel der Fragen und Antworten zwei eng miteinander vertraute Protagonisten des Literaturbetriebs die Bälle zuspielten. So konnte das Publikum einen intimen Einblick in die Werkstatt eines Schriftstellers erlangen.

"Winterbienen" handelt längst nicht nur von dem zu Kriegszeiten aus dem Schuldienst entlassenen an Epilepsie laborierenden Latein- und Geschichtslehrer Egidius Arimond, der Bienen züchtet, als Imker aber auch Fluchthelfer ist, der Flüchtlinge im Kokon von Bienenschwärmen aus der Eifel zur Grenze nach Belgien schmuggelt. Er beinhaltet auch einen spätmittelalterlichen Handlungsstrang, da Arimond in der Bibliothek Fragmente von Aufzeichnungen eines Vorfahren über den Kardinal Nikolaus von Kues sammelt und übersetzt, worin es darum geht, dass das Herz des verstorbenen Cusaners aus Italien zur Bestattung nach Kues überführt werden soll.

Warum handeln alle Romane Scheuers, bisher sieben an der Zahl, in dessen Heimat, in der Eifel, ein Kosmos der immer gleichen Orte, Familien und Figuren? "Weil ich Geschichten schreibe, die nur über Bilder funktionieren, nicht über Reflexionen", antwortet Scheuer - und "diesen Schatz an Bildern" biete nur die vertraute Provinz: "Wenn ich ein halbes Jahr nach Istanbul ginge, würde das nicht genügen um darüber schreiben zu können! " Dass seine Romane inzwischen einen Eifel-Tourismus zu ihren Schauplätzen auslösen, wollte er bislang "gar nicht richtig wahrhaben".

Viele Figuren des Romans haben Vorlagen in der erlebten Realität oder in Quellen aus dem bäuerlichen Kosmos der heimischen Provinz - wie die Epileptikerin, die in der Erinnerung aus der Kindheit beim Besuch der Mutter vor den Augen des Jungen in der Küche in Krämpfe ausbrach, oder der Bienen züchtende Tagebuchschreiber zu Kriegszeiten, dessen Text eine Dorfchronik zitiert. Überhaupt sei die Perspektive eines Protagonisten aus dem Tagebuch das ideale Konstrukt gewesen: "Ich wollte keinen Roman, der mit Moral daherkommt! "

Scheuer fasziniert, dass zur Nazizeit Tausende Flüchtlinge über Köln in die Eifel und von dort zur Grenze gebracht werden konnten, die mysteriösen Fluchthelfer aber bis heute durch keine Recherchen aufgedeckt werden konnten. Bei manchen Fragen des Publikums würde der sympathisch ehrliche Autor am liebsten passen - schließlich sei längst ein neues Manuskript in der Mache - "und wenn ich an einem neuen Roman bin, vergesse ich alles über den alten! "

DK