Hilm
Versuchen Sie mal, nach Hilm zu kommen . . .

13.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr
Die Zufahrt nach Hilm: Links der eigentlich sehr schön ausgebaute Weg (mit zahlreichen Schlaglöchern), der laut Gemeinde keine Verkehrsbedeutung hat, rechts der Privatweg im Westen, den die Gemeinde als eigentliche Zufahrt einstuft. Dass es Rettungsfahrzeuge bei Schlechtwetter auf keinem der beiden Wege zum Pferdehof Hilm schaffen, ist laut Gemeinde irrelevant; übergeordnete Behörden äußern sich dazu nicht. −Foto: Petry

Hilm (SZ). . . aber auf eigenes Risiko. Hilm ist ein zauberhafter Einödhof. Hier tickt das Leben langsamer. Hier kann man durchatmen. Aber: Die Zufahrt ist in miserablem Zustand. Wer ist zuständig? Die Anlieger beschweren sich - jetzt will die Gemeinde die Zufahrt ganz aufgeben.

Wobei die Missverständnisse schon beim Stichwort "Beschwerde" beginnen. Die Leute vom Pferdehof Hilm im Süden von Gerolsbach sagen, sie hätten bei der Gemeinde und beim Landratsamt Pfaffenhofen angefragt - und sogar eine Stoßdämpferrechnung eingereicht, Folge des miserablen Zustands der Zufahrt. Die Gemeinde teilt dagegen auf Anfrage mit, sie wisse nicht einmal, dass da draußen ein Pferdehof sei, das Landratsamt Pfaffenhofen schreibt: "Ein Vorgang ist dazu beim Landratsamt nicht anhängig." Und verweist auf die Gemeinde.

Die Gemeinde wiederum sieht es so, dass das Anwesen Hilm zwar über einen öffentlich gewidmeten Feld- und Waldweg erreichbar sei, dass sich daraus aber keinerlei Ansprüche an die Gemeinde ableiten ließen. Denn für den Zustand von Feldwegen seien die Eigentümer zuständig, und nicht die Gemeinde. Das regelt der Artikel 54 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes. Der Paragraf regelt aber auch, dass die Gemeinde eine sogenannte Ersatzvornahme wahrnehmen könnte, wenn sich die Eigentümer nicht einigen, das heißt: Die Gemeinde richtet den Weg her und stellt die Kosten den Eigentümern anteilig in Rechnung.

Genau das sei hier gefragt, finden die Hilmer, und so sei vor Jahren auch schon mal verfahren worden. Die Gemeinde sieht das aber völlig anders: Damals war damals, heute ist heute. "Soweit wir wissen, haben die Eigentümer des Feldweges untereinander wegen der Herstellung nicht geredet", teilt Bürgermeister Martin Seitz auf Anfrage mit.

Die andere Seite sagt: Das sei zwar so richtig, aber das Verhältnis der Eigentümer untereinander sei schon Jahrzehnte zerrüttet, und das wisse man sehr wohl im Rathaus.

So geht es hin und her. Für die Pächter vom idyllisch gelegenen Pferdestall stellt sich die Situation so dar, dass sie bei schlechtem Wetter mit dem Auto kaum von der Kreisstraße Paf7 zum Anwesen durchkommen. "Ich will mir gar nicht ausmalen, was wäre, wenn mal ein Krankenwagen zu uns kommen müsste - er würde es wahrscheinlich nicht schaffen", sagt Sandra Hennegriff vom Pferdehof. Oder die Feuerwehr. Keine Chance.

Wie sieht die Situation denn rechtlich aus? Würde die Gemeinde in einem solchen Fall haften? Bürgermeister Seitz und sein Behördenchef Thomas Kreller glauben das nicht. Den Fall eines Brandes haben sie für Hilm beim Landratsamt prüfen lassen, nach der Geschichte mit der Katastrophe in Schneizlreuth, wo ein Bürgermeister belangt wurde - da sei die Gemeinde raus aus der Haftung; und wohl auch, wenn ein Notarzt das Anwesen nicht erreichen kann. "Das ist wie bei einem Jagdunfall im Wald, da kann der Notarzt im Zweifel auch nicht hin", sagt der Bürgermeister. Dass es den Hilmer Weg als Zufahrt gebe, und dass der seit 1963 öffentlich gewidmet sei, spiele da keine Rolle.

Stimmt das? Das Landratsamt Pfaffenhofen mag sich zu dieser Situation nicht grundsätzlich äußern und verweist zurück an die Gemeinde. Die Oberste Baubehörde macht es genauso.

Was also tun? Die Gemeinde Gerolsbach hat den Fall Hilm jetzt auf die Tagesordnung des nächsten Gemeinderats am kommenden Dienstag genommen, und zwar so: Der Gemeinderat soll beschließen, dass der Feldweg nach Hilm eingezogen wird und verschwindet, weil er verkehrsrechtlich angeblich keine Rolle mehr spiele. Und außerdem sei der Hof in westlicher Richtung an die Sackgasse nach Finkenzell angeschlossen.

Wie das bei den Hilmern ankommt, kann man sich denken: "Das können die doch nicht machen!", hofft Sandra Hennegriff vom Pferdehof und verweist auf den Zustand des Privatweges nach Westen: Mit einem Bulldog oder einem guten Geländewagen kann man es an trockenen Tagen schaffen - bei Regen sicher nicht. "Der Weg ist vorhanden!", hält Thomas Kreller von der Gemeindeverwaltung dagegen.

Es ist durchaus spannend, zu versuchen, den Pferdehof Hilm über diesen Privatweg, der von der Sackgasse nach Finkenzell abzweigt, zu erreichen. Erstmal ist er schon gar nicht ausgeschildert - kein Navi kennt die Strecke. Nach Hilm gibt es laut Kartenmaterial nur eine einzige Zufahrt: von Osten, von der Straße Paf7 mitten durch den Golfplatz. Wer versucht, sich Hilm von Westen her zu nähern, ahnt schnell, warum: Da geht es zunächst eine steile Rampe hinab in ein Schlammloch. Im Winter kommt da keiner rauf oder runter. Vom Schlammloch aus kann man sich mehr schlitternd als fahrend von Schlagloch zu Schlagloch kämpfen. Die sind teils fast einen halben Meter tief - für Offroader ein Riesenspaß. Für die Anlieger in Hilm nicht.

"Eigentlich dürfen Sie da gar nicht fahren!", mutmaßt Bürgermeister Seitz angesichts dieses Selbstversuchs. Auch nicht, wenn man die Leute vom Pferdehof besucht? Dann vielleicht schon, gibt er zu, "aber wir wissen ja gar nicht, dass es dort einen Pferdehof gibt. Nach Aktenlage ist Hilm unbewohnt." Womit wir wieder am Anfang wären. Anfragen der Pferdeleute kennt man im Rathaus ja nicht, und auch keine Stoßdämpferrechnung.

Die Hilmer Reiter hingegen wundern sich: "Keine zwei Wochen, nachdem wir die Stoßdämpferrechnung ans Rathaus geschickt haben, waren die Schlaglöcher zumindest notdürftig repariert", erzählt einer. Reaktion im Rathaus auf diese Geschichte: Schulterzucken beim Bürgermeister und beim Verwaltungsleiter.

Warum das alles? Was jetzt kommt, klingt ein bisschen nach "Asterix auf Korsika", wo sich zwei Stämme seit Jahrhunderten bekämpfen, weil . . . - ja, das weiß man eigentlich gar nicht so ganz genau. Im aktuellen Fall muss es wohl so gewesen sein, dass einst durch Hilm eine öffentliche Verbindungsstraße nach Felbern führte. Das passte den damaligen Besitzern aber nicht. Darum wurde das Stück Weg, damals, in den 60er-Jahren, zum Privatweg erklärt. "Aus heutiger Sicht mag das ein Fehler gewesen sein", sagt Bürgermeister Seitz, "aber wir müssen mit der Sachlage umgehen, wie sie sich uns heute darstellt." Und die sieht so aus, dass die Eigentümerin des Hilmer Hofs - sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen - eine Petition eingereicht hat, um zu ihrem Recht zu kommen: dass die Zufahrt von der Paf7 zu ihrem Anwesen für normale Autos nutzbar ist. Was sich wiederum erledigen würde, wenn die Gemeinde den Weg tatsächlich einzieht.

Die ollen Kamellen aus den 60er-Jahren interessieren freilich die Leute vom Pferdehof überhaupt nicht. Sie haben sich hier eingerichtet, und zwar jetzt, in der Gegenwart.

Im Pressegespräch geben sich Bürgermeister und Verwaltungsleiter allerdings versöhnlich: Sie wollen das Aufhebungsverfahren eher so verstanden wissen, dass nach all dem Hickhack nun endlich eine rechtlich eindeutige Lösung herbeigeführt werden soll. "Wir leiten jetzt das Verfahren ein", sagt Bürgermeister Seitz, "dann wird die Eigentümerin Widerspruch einlegen, dann wird das vor Gericht geklärt. Und dann ist auf Jahrzehnte Ruhe." Wenn die Eigentümerin vor Gericht gewinnt, müsse die Gemeinde die Gerichtskosten übernehmen, heißt es im Rathaus. Wenn nicht, bleibt sie drauf sitzen - und verliert die Zufahrt von der Kreisstraße zu ihrem idyllischen Geburtsort - und der Pferdehof wäre dann wohl auch Geschichte.

Tatsächlich ist es so, dass solche Interessenkonflikte nicht mehr auf dem Behördenweg geklärt werden, sondern auf dem Klageweg. Ob das bürgerfreundlich ist? Das steht offensichtlich auf einem ganz anderen Blatt geschrieben.