Kühbach
Verloren geglaubte Vereinsfahne kehrt heim

76 Jahre lang verschollen - Hinter der Rückführung der historischen Fahne nach Kühbach steckt eine unglaubliche Geschichte

14.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:11 Uhr
Freudestrahlend präsentieren Kühbachs Bürgermeister Karl-Heinz Kerscher und seine Tochter Lisa die verloren geglaubte Vereinsfahne. Lisa brachte die Fahne aus den USA mit nach Bayern. −Foto: Thomas Winter

Kühbach - Kriegstrophäen oder Andenken wanderten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf verschiedenen Wegen aus dem besiegten Deutschland Richtung USA oder Russland, darunter Alltagsgegenstände, aber auch echte Kostbarkeiten.

Berühmt wurde der Quedlinburger Domschatz, einer der bedeutendsten Kulturschätze Deutschlands im Wert von mehreren hundert Millionen Euro. Er wurde von einem US-Leutnant nach 1945 als "Souvenir" in Backpapier eingewickelt nach Amerika versandt. 1992 kehrten Teile davon nach langem juristischen Tauziehen nach Deutschland zurück.

Sehr viel länger dauerte es, bis die historische Vereinsfahne der Krieger- und Soldatenkameradschaft Kühbach wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückfand. 76 Jahre lang galt das Banner als verschollen. Am Mittwoch durfte Bürgermeister Karl-Heinz Kerscher die Fahne am Münchner Flughafen persönlich in Empfang nehmen - für ihn ein emotionaler Moment im doppelten Sinne, denn das verloren gegangene Banner brachte ihm seine Tochter Lisa zurück.

Das ist das vorläufige Ende einer unglaublichen Geschichte, an deren Anfang ein Heiliger in einer Pfütze steht. Aber erst mal der Reihe nach.

Im November vergangenen Jahres trudelte eine nicht ganz gewöhnliche E-Mail im Postfach der Gemeinde ein. Absender: die Deutsche Botschaft in Washington. In der Mail informierte der dortige Kulturreferent die Kühbacher darüber, dass die Botschaft im Besitz einer historischen, deutschen Fahne sei. Als rechtmäßige Eigentümer komme der hiesige Kriegerverein infrage. Rathaus-Verwaltung und Kriegerverein waren hellauf begeistert, umso mehr, als sie von der rührenden Story des 74-jährigen Amerikaners Dr. Richard Fleming, erfuhren. Fleming lebt im Süden Washingtons in der Nähe von Kerschers Tochter Lisa, die in den Vereinigten Staaten als Ergotherapeutin arbeitet. In einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, beschreibt Richard Fleming den Fund der Fahne sowie deren Verbleib in den letzten 76 Jahren.

Demnach war Flemings Vater Richard im Zweiten Weltkrieg als Soldat des 45. Division/157. Infanterie Regiments der amerikanischen Armee in Deutschland. Als er kurz vor Kriegsende auf seinem Weg nach München in einem der Orte ein ausgebombtes Haus ohne Dach kontrollierte, sah er die Fahne nach Angaben seines Sohns in einer Pfütze liegen.

Er habe keine Ahnung, was seinen Vater dazu bewogen habe, das Banner zu retten, schreibt der 74-Jährige in seinem Brief. Er vermutet jedoch, dass ihn das aufgestickte Bild des heiligen Georg als Drachentöter fasziniert habe, denn sein Vater sei ein religiöser Mensch gewesen. Der Vater nahm die Fahne also mit in die Vereinigten Staaten.

Jahrzehntelang bewahrte sie der Weltkriegs-Veteran im Keller auf, geschützt durch eine Plastikhülle. Als Flemings Mutter 2000 starb, der Vater wurde bereits 1995 beerdigt, ging die Kriegerfahne in den Besitz des Sohnes über. 20 Jahre behielt Richard Fleming jun. sie bei sich, trotz fünf Umzügen brachte er es nicht übers Herz, sich von der Fahne zu trennen.
Nun sind der jetzt 74-Jährige und seine Frau noch einmal umgezogen, diesmal in eine kleinere Wohnung. Weil seine Tochter und sein Enkel kein Interesse an dem Stück zeigten, entschloss sich Fleming, nach dem rechtmäßigen Eigentümer zu suchen. Was ihm mithilfe etlicher Museen und der Deutschen Botschaft schließlich auch gelang. Angehörige der Deutschen Botschaft nämlich konnten auf der Fahne "Verein Kühbach" entziffern und fragten sodann an, ob es in der Gemeinde "einen geeigneten Empfänger" gebe.

Gab es. Und so nahm die Rückholaktion ihren Lauf. Im Dezember vergangenen Jahres holte Lisa die Fahne. Sehr stolz sei Fleming gewesen, das besondere Familienerbstück direkt in die Hände einer echten Kühbacherin übergeben zu dürfen, berichtet Lisa später ihrem Vater.

Dass alles reibungslos vonstatten ging, daran hat der Zoll einen großen Anteil. In der Deutschen Botschaft in Washington hat nämlich auch der Zollverbindungsbeamte Jens Müller ein Büro. Müller klärte mit dem Zoll in den Vereinigten Staaten die Regeln für die Ausfuhr ab, was bei einer so ungewöhnlichen Ware wie einer alten Kriegerfahne sehr hilfreich war. Lisa durfte das gute Stück dann verpackt in einem Karton im Handgepäck im Flugzeug mitnehmen.

Die Heimkehr soll, sobald das möglich ist, groß mit einer Fahnenweihe und einem Gottesdienst mit Serenade begangen werden. Der Kriegerverein Kühbach wird die historische Fahne übrigens nicht nutzen. Laut Vorsitzendem Wolfgang Gärtner kann sich der Verein vorstellen, sie als Leihgabe dem Heimatmuseum zur Verfügung zu stellen oder sie in einer Vitrine im Rathaus auszustellen.

SZ

Thomas Winter