Verhalten von Autofahrern auf der Spur

16.11.2006 | Stand 03.12.2020, 7:19 Uhr

Ingolstadt (DK) Was treibt ein Autofahrer während der Fahrt, außer seinen Wagen möglichst sicher auf der Straße zu steuern? Bislang hatten die Autobauer keine detaillierten Angaben, welche Knöpfe oder Schalter zu welcher Zeit bedient werden. Bei INI.TUM, den Ingolstadt-Instituten der TU München, bringt die Doktorandin Heike Sacher derzeit Licht ins Dunkel.

In Zusammenarbeit mit der Abteilung Ergonomiekonzepte von Audi hat sie in den vergangenen eineinhalb Jahren rund 60 Menschen mit einem von zwei Testwagen (A6 und A8) fahren lassen. Meterweise Kabel sind in beiden Autos verlegt worden: Alles hinter den Abdeckungen versteckt, damit der Versuchsaufbau den Fahrer nicht stört. "Die Leute müssen das Gefühl haben, dass sie unbeobachtet sind, sonst Verhalten sie sich nicht echt", erklärt Sacher. Deshalb nützt auch auch keine Kamera, um die Fahrer zu filmen. Die 28-jährige Münchnerin kennt sich mit dem Verhalten von Menschen aus. Sie ist Psychologin und die einzige Frau unter den 35 Doktoranden bei INI.TUM.

Nicht nur das in den Audi-Limousinen serienmäßige Multi Media Interface (MMI), das Bedienteil für Navigationssystem oder auch Radio, wird bei ihrer Arbeit "abgehorcht", wie Sacher lächelnd erzählt. Auch Ablagefächer, Sonnenblenden oder beispielsweise die Luftausströmer sind an das Netz gekoppelt – insgesamt 250 elektronische Funktionen des Autos: "Alles, was der Fahrer verstellen kann." Nach einer Woche mit dem Wagen hat sie die Fahrer befragt. Zu ihren Probanden, wie die Teilnehmer einer Untersuchung wissenschaftlich genannt werden, zählen dabei halbe-halbe Kunden und Audi-Mitarbeiter – bis in die Führungsebene.

40 DVDs voll mit Daten, also an die 200 Gigabyte, sind bisher gesammelt. Die Auswertung läuft bereits, "eine spannende Phase, die Dinge fügen sich gerade zusammen", sagt Sacher. "Einen ungeschliffenen Diamanten", nennt Jürgen Meurle, der Leiter Ergonomiekonzepte bei Audi, die Datenmenge . Im Bereich Mensch-Maschine-Schnittstelle nehme der Autohersteller damit eine führende Rolle im Vergleich zur Konkurrenz ein. Nachdem alles ausgewertet ist, kann Heike Sacher genau sagen, welche Funktionen im Auto viel genutzt werden – und welche überhaupt nicht.

Keine Radikalkur

Ein erstes Ergebnis: Etwa 80 Prozent der Fahrer würden d ie Klimaanlage nur in einem eng begrenzten Bereich ändern. Andere Funktionen blieben fast immer in der Voreinstellung. "Fast a lle haben außerdem gesagt, sie lesen keine Bedienungsanleitung." Wichtig sei also, dass die Funktionen auf Anhieb abrufbar sind.

A udi möchte, laut Meurle, mit den Daten in erster Linie den Aufbau von technischen Menüs hinterfragen. Am Ende sollten die Fahrer im Idealfall schneller und einfacher auf das zurückgreifen können, was sie am meisten einstellen. Es sei aber keine Radikalkur geplant: "Wir werden keine Funktion wegfallen lassen, es wird immer Experten geben, die alles benutzen und maximalen Komfort wollen", erklärt Meurle.

Ein weiterer Blick liegt auch auf dem Komfort. Meurle nennt ein Beispiel: Wenn der Scheibenwischer läuft und jemand den Rückwärtsgang einlegt, wischt der Heckwischer automatisch einmal über die Heckscheibe für freie Sicht. Dieser zusätzliche Handgriff, den jeder bei Regen machen müsste, entfällt also.

Dabei sei v ielen Autofahrern gar nicht bewusst, welche Knöpfchen sie drehen, oder welche Hebel sie während der Fahrt überhaupt betätigen. Vieles läuft im Unterbewußtsein. "Mich interessiert genau diese Schnittstelle Mensch-Maschine", erklärt Heike Sacher ihren Weg zur Doktorarbeit. "Ich bin schon immer gerne Auto gefahren", aber so technikaffin, dass sie gleich bei einem Autobauer einsteigen möchte? Nein, sagt sie, das habe sie sich zuerst nicht vorstellen können. "Es ist alles sehr faszinierend", sagt sie aber nun.

Mitte 2007 soll ihre Arbeit fertig und die Dissertation abgeschlossen sein. Für Heike Sacher ist das Projekt auch eine Art Einstellungstest. Darauf ist INI.TUM ausgelegt. Ihr Ziel: "Ich würde schon gerne bei Audi bleiben."