Verbissene Titelkämpfe auf dem Ergometer

03.04.2009 | Stand 03.12.2020, 5:04 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Manfred Dürr gibt alles. Knapp zwei Sekunden Vorsprung hat der Ingolstädter, als er die erste Hälfte der 2000 Meter langen Strecke hinter sich hat. Doch noch liegt die zwar gleich lange, aber trotzdem für ihn konditionell viel härtere Distanz vor ihm. Denn Dürr weiß, dass er nicht in Topform ist. Eine Bandscheibenoperation, eine Knieprellung mit einem dicken Bluterguss und kurz vor der Weltmeisterschaft zu allem Überfluss auch noch Erkältungen haben die gewohnt intensive Vorbereitung diesmal verhindert. "Ich hatte schon überlegt, ob ich überhaupt fahren sollte", sagt Dürr, aber dann haben ihn die Titelkämpfe, und die damit verbundene Einladung zu den Indoor-Ruderweltmeisterschaften nach Boston doch gelockt. Wohl wissend, dass die Existenz von Welttitelkämpfen auf dem Ergometer bei den meisten Sportlern wohl Kopfschütteln verursacht.

Eigentlich übt Dürr seinen Sport ja auch im Freien aus. Seit seiner Kindheit ist er Ruderer. "Meine Eltern haben gesagt, dass ich einen Sport betreiben soll, und da hat sich Rudern angeboten," erzählt Dürr. Auch wenn im damals elitären Donau-Ruder-Club (DRC) nicht nur 500 Mark Aufnahmegebühr, sondern auch noch drei Leumunde notwendig waren, um überhaupt beitreten zu können. "Heute", schmunzelt er "stehen wir auf der Miba und hoffen, die Leute fürs Rudern zu begeistern."

"Sonderlich erfolgreich war ich aber als Kind nicht", bekennt der gebürtige Ingolstädter, der eine lange Pause einlegte und erst 1977, damals mit seinem Sohn, wieder zum Rudern kam. Bis heute fährt er sowohl im Vierer als auch im Achter des DRC und hat mit seinen Bootskameraden etliche WM- und DM-Titel im Seniorenbereich gesammelt.

Als Einzelsportler war Dürr vor allem in der Halle erfolgreich. Manche mögen das nicht. "Die würden lieber im Winter das Eis aufhacken, als auf dem Ergometer zu fahren", sagt der 61-Jährige, der zugibt, ebenfalls vor allem ein Sommersportler zu sein.

Eigentlich, so Dürr, dient das Ergometer vor allem als Trainingsgerät in den Wintermonaten. "Sechs bis acht Leute sind wir meistens in der Trainingsgruppe", erzählt Dürr. Immer donnerstags setzen sich die Sportler auf die zehn Geräte des DRC und halten sich in Form. Dass mit den Ergometern längst Deutsche-, Europäische- und Weltmeisterschaften ausgetragen werden, ist einerseits kurios, andererseits für Dürr höchst interessant. Schließlich ist der Rentner in seinen Altersklassen inzwischen sechsmaliger Deutscher Meister über 2000 Meter, holte über 30 Minuten ebenfalls sechs DM-Titel und erkämpfte sich im Februar 2007 in Starnberg sogar einen Weltrekord. "Die ganze Halle hat getobt, als die Zuschauer gemerkt haben dass da etwas passieren könnte", erinnert sich Dürr an die DM im Februar 2007. Auf dem Display des Ergometers konnte er kurz vor dem Ende ablesen, dass er in den vorgegebenen 30 Minuten die Weltrekordmarke von 8465 Metern würde packen können. Exakt einen Meter "und mit Hängen und Würgen" lag er zum Schluss vorne. Vorangepeitscht von AC/DC-Gitarrenriffs aus den Lautsprechern und einem euphorischen Publikum.

Es geht meist um die Ehre beim Indoor-Rowing. Preisgelder gibt es keine, und trotzdem erreichen manche Ruderer Ergebnisse, die Dürr so seltsam vorkommen, dass er an unerlaubte Hilfsmittel denkt. "9200 Meter sind o. k., aber wenn ein 35- oder 39-Jähriger in 30 Minuten deutlich mehr als das schafft, kann ich mir das nur schwer vorstellen. Aber vielleicht sind das ja auch nur Druckfehler", scherzt Dürr.

Lukrativ ist beim Indoor-Rudern lediglich die Einladung zu den Weltmeisterschaften in Boston. Flug und Unterkunft übernimmt der weltgrößte Hersteller von Rudermaschinen (Concept2) für die Meister aller Altersklassen. Exakt 2150 Ergometer-Ruderer kämpfen in einer umgebauten Eishockey-Halle um die Titel, in Dürrs Altersklasse (M60 bis 64) waren es 26 Konkurrenten.

Zwei davon waren nach den ersten 1000 Metern längst enteilt. "Die hole ich ohnehin nicht mehr ein", wusste Dürr, der die Zeiten der zeitgleich gestarteten Konkurrenten am Display seines Rudergerätes ablesen konnte. Bei der DM in Starnberg war das übersichtlicher. Die momentane Platzierung der Ruderer wurde mit kleinen Booten auf eine große Leinwand projiziert.

Dürr ließ sich in der vermeintlichen Sicherheit des klaren Vorsprungs also Zeit. Nicht wissend, dass eine zweite Reihe Ergometer aufgestellt worden war, und die auf seinem Display nicht auftauchte. Immer näher kam der Amerikaner Robert Lee, und ohne dass Dürr es wusste, kämpfte er selbst plötzlich in einem Finale um Platz drei. Am Ende war der Vorsprung hauchdünn, aber immerhin war Dürr vorne und hatte damit Bronze gewonnen.

So richtig begeistert war der Ingolstädter trotzdem nicht: "Irgendwie habe ich das Gefühl, unter Wert geschlagen worden zu sein." Ein willkommener Anlass, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein – und sich dann noch intensiver in die Riemen zu legen.