München
Vater Staat als säumiger Zahler

Verlängerte Fristen verschärfen die Insolvenzgefahr für Handwerksbetriebe

21.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:28 Uhr

München (DK) Nach einer neuen EU-Richtlinie können sich Staat und Kommen künftig doppelt so viel Zeit lassen, um Rechnungen zu bezahlen. Das ist vor allem für die Baubranche ein Albtraum.

Der Fensterbauer ist stolz: Schalldicht und nach neuesten energetischen Gesichtspunkten ziert sein Werk nun das Rathaus der Gemeinde. Ein fünfstelliger Betrag ist fällig, für einen Drei-Mann-Betrieb eine Menge Geld. Doch beeilen muss sich der Bürgermeister mit der Rechnung nicht so arg – dank der EU.

Säumige Zahler unter den Kommunen können Baubetriebe bald noch länger hinhalten. Eine neue Richtlinie aus Brüssel, die Deutschland jetzt umsetzen muss, vereinheitlicht die Zahlungsfristen in der EU. Für Deutschland heißt das: Die Frist für Abschlagszahlungen wird von 18 auf 60 Tage verlängert, die Schlusszahlung hat bald 60 statt 30 Tage Zeit – ein Albtraum vor allem für die deutsche Baubranche.

Die treibende Kraft dahinter waren hauptsächlich die chronisch klammen Südeuropäer, Spanien, Griechenland, Italien, Portugal. Die wissen derzeit nämlich nicht, wie sie die Rechnungen der Handwerksbetriebe an Staat und Kommunen begleichen sollen. Die Fördermilliarden aus dem Norden gehen fast ausschließlich in die Schuldentilgung. Das Nachsehen haben vor allem Deutschland und Österreich.

Die hiesigen Lobbyisten versagten auf ganzer Linie: „Wir waren als deutsche Bauwirtschaft mit unserer Kritik ziemlich allein“, bedauert Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Landesverbands der bayerischen Bauinnungen. „Ohne Mitstreiter aus anderen Ländern tut man sich bei der EU-Kommission ziemlich schwer.“

Dabei ist die öffentliche Hand derzeit schon kein netter Kunde für die bayerische Bauwirtschaft, wie der Verbandschef zu berichten weis. Eine aktuelle Umfrage unter den Mitgliedsbetrieben zeichne ein unerfreuliches Bild. „Mehr als die Hälfte der befragten Bauunternehmen beklagt Überschreitungen der heute geltenden Zahlungsfristen um bis zu einen Monat. Deutlich mehr als 20 Prozent unserer Mitgliedsbetriebe müssen bis zu sechs Monate über die Zahlungsfristen hinaus auf ihr Geld warten“, klagt Peteranderl.

Folge: Die Baubetriebe erbringen Leistungen, schaffen einen Mehrwert – leiden aber unter dem Zahlungsverzug. Und dagegen kann sich ein Betrieb derzeit – anders als etwa gegen Insolvenz – auch nicht versichern. Der Gesetzgeber zeigt auch, logisch, keine Ambitionen, das kurzfristig zu ändern. Verlängerte Zahlungsfristen werden das Risiko von Betriebspleiten also stark erhöhen.

Triumphiert haben mit der Gesetzesänderung in Brüssel die Befürworter eines unbeschränkten Binnenmarktes. Die EU-Kommission sah nach eigenen Angaben in den unterschiedlichen Zahlungsbestimmungen und Zahlungsfristen in den einzelnen Mitgliedsstaaten ein Hemmnis für den Binnenmarkt.