Pfaffenhofen
Urteil im Schimmelschinken-Prozess

2700 Euro Strafe: "Es reicht, verdorbene Ware vorzuhalten" - Gericht kann Rentner Verkäufe nicht nachweisen

26.02.2021 | Stand 03.03.2021, 3:33 Uhr
Ein Metzger schneidet am 24.10.2014 in Bonndorf (Baden-Württemberg) in der Räucherkammer des Schinkenherstellers Adler einen Schwarzwälder Schinken an. Die Herstellung dauert rund drei Monate. Schwarzwälder Schinken muss im Schwarzwald hergestellt werden. Foto: Patrick Seeger/dpa (zu lsw-KORR:"Vom Schwein zum Schinken - Schwarzwälder Fleischbranche unter Druck" vom 12.06.2015) ++ +++ dpa-Bildfunk +++ −Foto: Patrick Seeger (dpa)

Pfaffenhofen - Zu einer happigen Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro wegen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz ist ein 72-jähriger Rentner verurteilt worden. Wie berichtet, hatte die Polizei in seiner Wohnung im nördlichen Landkreis 300 Kilo Schinken und Speck sichergestellt, wovon der größte Teil verschimmelt und von Maden befallen war. Die Argumentation des Verteidigers, seinem Mandanten könne nicht nachgewiesen werden, dass er die Ware verkaufen wollte, zerpflückte Amtsrichterin Nicola Schwend: Nach dem Gesetz reiche es, die Ware vorzuhalten.

Am ersten Verhandlungstag hatte das Gericht die Polizisten und den Kontrolleur des Veterinäramts als Zeugen vorgeladen. Sie erklärten, überall in der Wohnung, im Wohn- und Schlafzimmer, in der Küche, auf dem Balkon und in der Garage Gammel-Schinken gefunden zu haben, außerdem Gerätschaften, mit denen der zum großen Teil eingeschweißte Schinken zerteilt werden kann. Vor Gericht hatte Willi F. (Name geändert) die Aussage verweigert. Sein Verteidiger sagt, sein Mandant sei bloß als Agent eines Südtiroler Schinkenproduzenten tätig gewesen, für den er auf seiner eigens dafür eingerichteten Homepage Kunden akquirieren sollte. Er selbst sei nicht der Händler.

Deshalb hatte das Gericht für den zweiten Verhandlungstag weitere Zeugen vorgeladen, die die Anklage stützen sollen. Ein 46-Jähriger erklärte, Willi F. eine elektrische Schneidemaschine verkauft zu haben, die er auf einer Online-Plattform für 250 Euro zum Verkauf angeboten hatte. Man habe sich auf 150 Euro geeinigt, die Willi F. aber nicht bar, sondern in Naturalien bezahlen wollte. "Er sagte, ich solle mir auf seiner Homepage Ware im Gegenwert aussuchen." Für das Gericht ein Indiz für einen Handel.

Dem Vermieter der Wohnung, in dem der Angeklagte mit seiner Frau lebte, ist die Begegnung mit Willi F. sichtlich unangenehm, zumal ihm sein ehemaliger Mieter demonstrativ den Rücken zukehrt: "Ich sag's ungern, wir haben uns immer geduzt. Aber als ich die Wohnung gesehen habe - das geht doch gar nicht! Und dann gibt er auf seiner Homepage die Wohnung als seine Geschäftsadresse an. Die war für betreutes Wohnen gedacht, er hat sie zweckentfremdet." Deshalb habe er ihm fristlos gekündigt. Die Ehefrau, die sich scheiden lassen will, ist inzwischen ausgezogen. Sie hatte ihren Sohn gebeten, zur Wohnung zu kommen und den Vermieter gleich mitzubringen.

Auch den Sohn und dessen Mutter hat das Gericht als Zeugen vorgeladen, beide aber sind nicht erschienen. Die Richterin greift zum Telefon und verkündet dann: "Er kann in einer Viertelstunde hier sein." Das Telefonat mit der Mutter ist ein Monolog auf der anderen Seite der Leitung. Als Nicola Schwend auflegt, ist klar: Die Noch-Ehefrau des Angeklagten wird nicht kommen, mutmaßlich macht sie von ihrem Aussage-Verweigerungsrecht Gebrauch. Gut möglich aber auch, dass sie nicht mit Willi F. konfrontiert werden möchte. Denn das Verhältnis sei nach Aussage des Sohnes ziemlich angespannt.

"Hat Ihr Vater in der Wohnung einen Fleischhandel betrieben?", fragt ihn die Richterin. "Das weiß ich nicht", erwidert der 42-Jährige, "den ein oder anderen Schinken hab' ich gesehen, ich war nicht so oft da." Von der Internetseite habe er auch nichts gewusst. Mit seinem Vater habe er kaum ein Wort gewechselt, "und wenn ich was gesagt habe, hat er mich angeschrien". Aber die Fotos von den Schinken, die habe er doch gemacht. Nein, sagt der Sohn, das war seine Mutter, er habe sie auf ihre Anweisung nur ans Veterinäramt mit einem Anschreiben weitergeleitet.

Für den Staatsanwalt hat sich die Anklage bestätigt. Er beantragt eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 30 Euro - eine saftige Strafe für einen Rentner, der nach eigenen Angaben 950 Euro Rente bekommt und Schulden hat. Sein Verteidiger verlangt einen Freispruch. Nur wer verdorbene Ware in den Verkehr bringe, mache sich strafbar. Seinem Mandanten könne kein einziger Verkaufsvorgang nachgewiesen werden.

Das muss es auch nicht, sagt die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Etwas "in den Verkehr zu bringen" setze nicht voraus, dass es auch verkauft wird, "es reicht, die Ware vorzuhalten". Und dass der Angeklagte als Händler aufgetreten sei, ergebe sich auch aus den Aufklebern, mit denen der Angeklagte den Schinken etikettiert hatte: Darauf stand der Name seiner Homepage. Außerdem habe es wegen des Firmennamens einen Streit um ein Wettbewerbsverbot mit einer anderen Firma gegeben, die diesen Namen für sich beanspruchte.

Willi F. verlässt mit seinem Anwalt den Sitzungssaal, sein Sohn ist nach seiner Vernehmung gegangen.

PK