Kipfenberg
"Urbajuware" litt unter starkem Zahnweh

10.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:02 Uhr

Restauratorin Marianne Heimbucher legt letzte Hand an den Schädel des "ersten echten Bajuwaren". Die hellen Stellen des ergänzenden Dentalgipses heben sich deutlich von den dunklen Originalknochen ab. Am kommenden Sonntag wird das Skelett der Öffentlichkeit präsentiert. - Foto: oh

Kipfenberg (EK) Er fiel durch einen seltsamen Gang auf, litt an Knochenhautentzündung und hatte heftige Zahnschmerzen. Keine guten Voraussetzungen für einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Aber dem namenlosen Mann, der vor rund 1500 Jahren in unserer Gegend lebte, ist es dennoch gelungen.

Der Tote trägt den griffigen Namen "Urbajuware" oder ist als "Krieger von Kemathen" bekannt. Sein Auffinden vor genau 20 Jahren war eine Sensation. Jetzt wurde sein Skelett, von dem ursprünglich nur Fragmente vorhanden waren, rekonstruiert. Der Öffentlichkeit wird es ab Sonntag, 16. Mai, im Römer- und Bajuwarenmuseum auf Burg Kipfenberg präsentiert (siehe eigener Bericht).

Angefertigt hat das Skelett Marianne Heimbucher von der Firma Romana in Geisenfeld. Sie ist gelernte Kirchenmalerin und hat sich auf archäologische Restaurierungen spezialisiert. Der "Urbajuware" war allerdings ihr erstes Skelett: "Das war eine echte Herausforderung", sagt sie. Als Modelliermasse verwendete sie Dentalgips. Als Vergleich diente ihr ein Lehrskelett, wie es auch Mediziner verwenden. "Mit Unterbrechungen habe ich ein halbes Jahr daran gearbeitet", so Marianne Heimbucher.

Auch Museumsleiterin Juliane Schwarz ist begeistert. Bisher konnten nur Schäden und Unterschenkel gezeigt werden. "Nun lässt sich der Fund didaktisch besser aufbereiten", sagt sie. Außerdem trage das Skelett zur gesamten Geschichte bei.

Vergangene Woche hat der Archäologe Dr. Karl Heinz Rieder einen Freund, den renommierten Anthropologen Peter Schröter, gebeten, das Skelett unter die Lupe zu nehmen. Schröter, der bis zu seiner Pensionierung vor fünf Jahren an den Staatssammlungen für Anthropologie und Paläontologie tätig war, ist nach wie vor ein gefragter Experte.

Ein anthropologischer Befund war bereits 1991 angefertigt worden. Inzwischen aber wurde einige neue Erkenntnisse gewonnen. "Es war kein sehr fotogenes Skelett, als es damals aus dem Boden kam", erklärte Rieder. Das Gesicht war stark deformiert. Zähne, Kiefer und Hirnschale waren zusammengequetscht. Vom Oberkörper war nicht mehr viel vorhanden. Arme und Beine dagegen konnten in großen Teilen geborgen werden. Erschwerend kam hinzu, dass sich wohl Tiere an dem Leichnam zu schaffen gemacht hatten.

Diesen Verlust könne man auch nicht mehr wettmachen, doch vermittle das rekonstruierte Gesamtskelett einen recht guten Eindruck. "Es ist jetzt anschaulicher und eindrucksvoller", bestätigt Peter Schröter. Er ist allerdings ausschließlich an den originalen Knochen interessiert. Sie geben wichtige Rückschlüsse auf den Mann, der in hohem Ansehen gestanden haben muss, wie aus den reichen Beigaben und der aufwendigen Bestattung in einem Kammergrab klar wird. Der "Urbajuware" hatte für sein Zeitalter Gardemaß: zwischen 1,75 und 1,80 Meter. Als er starb, war er zwischen 25 und 35 Jahre alt. Das Todesjahr lag ziemlich genau um das Jahr 450, was sich aus den Grabbeigaben erschließen lässt.

Der "Fürst" oder "Häuptling" litt unter sehr starker Karies, wobei auffällig ist, dass eine Gebissseite fast völlig zerstört ist, während die andere weitestgehend intakt blieb.

Über die Zähne könnten noch mehrere offene Fragen geklärt werden. Beispielsweise das genaue Alter zum Zeitpunkt des Todes. Zähne entwickeln ähnlich wie Bäume eine Art Jahresringe. Aber dieses Verfahren sei mit manchen Unsicherheiten behaftet. Interessant ist auch der Abschliff der Zähne. Hier könnten Aufschlüsse über die Art der Nahrung gewonnen werden. Über die Zahl der Isotope wie Strontium ließe sich sogar sagen, ob der "Krieger" längere "Auslandsreisen" unternommen hat.

Wandern muss ihm allerdings gewisse Beschwerden verursacht haben: Ein Zehenknochen am rechten Fuß ist einmal gebrochen und schief zusammen gewachsen. "Er hat nicht mehr so gut gehen können", ist sich Schröter sicher.