Der 20-jährige Bonyad Ahmadi aus Afghanistan hat den Hauptschulabschluss gemacht und wollte danach eine Ausbildung zum Friseur beginnen. Er hoffte auf ein sicheres Leben in Ingolstadt. Stattdessen droht ihm nun die Abschiebung. So wie ihm ergeht es vielen jungen Flüchtlingen aus diesem Land, die sich schon gut integriert haben.
Ingolstadt (DK) Bayern will weiterhin abgelehnte Asylbewerber aus Afghansistan konsequent abschieben. Insbesondere junge Flüchtlinge, die ursprünglich auf eine sichere Zukunft in Deutschland gebaut und sich gut integriert hatten, leiden unter der wachsenden Ungewissheit. So wie Bonyad Ahmadi aus Ingolstadt.
Er ist verzweifelt, denn er soll das Land, in dem er vor vier Jahren Zuflucht fand, verlassen. Der 20-jährige Ahmadi aus Afghanistan zückt sein Mobiltelefon und zeigt Fotos, mit denen er den Schriftverkehr seines Falls dokumentiert. In einem dieser Schreiben wird er aufgefordert, Deutschland zu verlassen, da sein Asylantrag abgelehnt worden sei. "Ich warte, was mein Anwalt macht", sagt Ahmadi. Noch bis 24. Februar besitzt er eine Aufenthaltsgestattung, geht aus seinen Papieren hervor. Was danach geschieht - Ahmadi weiß es nicht.
Dabei sah es zunächst so gut aus für ihn. Er hatte fleißig gelernt und seinen Hauptschulabschluss gemacht. Danach folgten Praktika und eine Einstiegsqualifizierung für eine Berufsausbildung. Er fand sogar eine Lehrstelle bei einem Friseursalon. Doch daraus wird wohl nichts. Denn die Chancen, in Deutschland bleiben zu können, schwinden mehr und mehr.
"Nachdem sein erster Asylantrag abgelehnt wurde, versäumte sein Rechtsanwalt, Widerspruch einzulegen", erklärt Karoline Schwärzli-Bühler vom Jugendmigrationsdienst Ingolstadt. Sie betreut Ahmadi - ein Fall wie viele andere. Nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens wurde auch der Folgeantrag abgelehnt. Darüber hinaus läuft gegen Ahmadi nun eine Strafanzeige, weil er keinen Pass hat und die Behörden ihm vorwerfen, seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung der Papiere nicht nachzukommen. Viele Flüchtlinge handeln so aus Angst vor Abschiebung. Die Folge: Sie gelten als "Mitwirkungsverweigerer" und riskieren, als Vorbestrafte abgeschoben zu werden.
In dieser schier ausweglosen Lage verspürt Ahmadi nur noch blanke Angst. "Ich kann nachts nicht schlafen und laufe viel herum", erzählt er. Ein Arzt habe ihm Tabletten verschrieben, doch die würden nicht helfen. "Die machen mein Herz . . ." Der 20-Jährige zeigt mit der Faust eine Bewegung, so als drücke und quetsche es ihm in der Brust alles zusammen.
Der junge Mann stammt aus Urusgan, einer Provinz in Zentralafghanistan. Er gehört zur Ethnie der Hazara, eine verfolgte und diskriminierte Minderheit in Afghanistan. In dem Bestsellerroman "Drachenläufer" von Khaled Hosseini wird ihr Schicksal thematisiert. "Ich wurde im Krieg geboren, und habe bis heute keinen ruhigen Tag erlebt", beschreibt Ahmadi sein Leben und die Bedrohung durch Paschtunen, Taliban oder den IS. Schon als Kind war er auf der Flucht, erlebte eine jahrelange Odyssee. "Ich will nicht mehr zurück in den Krieg. Wenn ich nicht hier in Deutschland bleiben kann, gehe ich woanders hin - aber nicht zurück nach Afghanistan." Aus seiner Familie hält sich keiner mehr in dem Land auf, alle sind geflüchtet und leben verstreut in alle Winde.
Weil er nicht nur untätig in seiner Unterkunft herumsitzen will, arbeitet Ahmadi ehrenamtlich im Café international im Ingolstädter Stadttheater, wo sich Flüchtlinge, Einheimische und Helfer treffen. Heute ist er mit einem Studenten von der Technischen Hochschule verabredet. Dieser hat den Kurs "Technik und Kultur" belegt, der auch die Betreuung eines Flüchtlings umfasst. "Heute haben wir seine Fluchtroute rekonstruiert", erklärt der 25-Jährige. "Er ist ein armer Kerl", sagt er voller Mitgefühl.
Karoline Schwärzli-Bühler beobachtet Ahmadis Entwicklung mit Sorge. "Seine Angst ist so groß - er hat eine Haut wie ein Toter." Die Mitarbeiterin des Jugendmigrationsdienstes kritisiert die Kehrtwende, die im vergangenen Herbst mit Unterzeichnung der deutsch-afghanischen Rückübernahmeabkommens ihren Lauf nahm. "Gerade für die jungen Leute ist so viel getan worden, es wurde so viel Geld investiert, damit sie sich qualifizieren. Und die Wirtschaft braucht sie. Diese Menschen sind doch ein Gewinn für unsere Gesellschaft und schaden ihr nicht."
Beim Ingolstädter Jugendmigrationsdienst tauchen immer mehr Flüchtlinge auf, die abgeschoben werden sollen. "Die Rechtsanwälte sind inzwischen so mit Arbeit eingedeckt, dass man kaum noch einen findet, der einen Fall annimmt", sagt Schwärzli-Bühler. Sie sieht sich in der Verantwortung, den jungen Menschen zu helfen. "Aus humanitäten Gründen. Aber auch, weil ich Angst habe, dass Leute, die anständig sind, womöglich radikalisiert werden."
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